Nachdem Kashuas Romandebüt „Tanzende Araber“ von der Kritik in Europa sehr positiv aufgenommen wurde, erscheint nun sein zweiter Roman „Da ward es Morgen“ zeitgleich in Israel und in Deutschland. Die Übersetzungen ins Englische und Französische werden – wie beim ersten Buch – sicher folgen.
Sayed Kashua, Jahrgang 1975, ist ein arabischer Journalist und Autor mit israelischer Staatsbürgerschaft. Er lebt im palästinensischen Teil des Dorfes Beit Safafa bei Jerusalem. Schon durch diese beiden Angaben wird die ganze Problematik seiner Existenz deutlich: hin- und hergerissen zwischen arabischer und moderat-islamischer Identität und gleichzeitiger Kritik an der Rückständigkeit seiner Glaubensbrüder auf der einen und seiner Identität als israelischer Staatsbürger und gleichzeitiger Kritik an der Palästinenserpolitik der israelischen Regierung auf der anderen Seite, zeichnet er, mit viel biographisch geprägtem Einfühlungsvermögen, seine Hauptfigur.
Ein ehemals in der Stadt erfolgreicher Journalist zieht mit seiner Frau und seinem Kind in sein ehemaliges Dorf zurück, das er vor über einem Jahrzehnt zum Studium verlassen hatte. Schon damals haben sich die Bewohner inmitten der jüdischen Bevölkerung als Außenseiter gefühlt. Er findet sich nicht mehr zurecht, denn zu weit hat er sich durch sein Studium und sein Leben in der Stadt von der Kultur seines Dorfes entfernt.
Die von Sayed Kashua fiktiv angenommenen Friedensverhandlungen zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten und dem palästinensischen Präsidenten nach dem Ende der Zweiten Intifada stürzen das Dorf und seine Bewohner in große Verwirrung, denn es scheint Teil des großen Planes zu sein, das Dorf den Palästinensergebieten zuzuschlagen. Als eines Tages das Dorf komplett von der israelischen Armee abgeriegelt wird, ist das Dorf sogar bereit, von sich aus mehrere hundert Palästinenser aus den besetzten Gebieten des Westjordanlandes und des Gazastreifens an die israelische Armee auszuliefern, um einen Abzug der Soldaten zu bewirken.
Besonders in der Schilderung dieses Vorgangs zeigt sich die Kritik und auch die Abscheu des Autors vor der heuchlerischen und verlogenen Haltung seiner Landsleute. Sie, die jahrelang von der billigen Arbeitskraft der Palästinenser gelebt haben, indem sie als israelische Staatsbürger Baufirmen ohne Ende gegründet und ihre Glaubensbrüder als billige Sklavenarbeiter ausgebeutet haben, sind bereit sie um des eigenen Vorteils willen dem sogenannten Feind als Geiseln zu opfern.
Das Buch, das sich liest, wie ein Tatsachenbericht aktueller Geschehnisse, ist in seiner Vision voller Sprengkraft. Gleichzeitig atmet es wenig Hoffnung für die Situation der Palästinenser. Es ist, als würden durch den Autor die Ergebnisse des dritten, unter der Ägide der UN verfassten Arab Human Development Report bestätigt, die von einem völligen kulturellen und politischen Versagen der arabischen Welt schreibt. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Autoren ausschließlich arabische Intellektuelle und Akademiker sind ( ähnlich wie die Hauptfigur in Kashuas Roman).
Zitat: „Fremde Intervention hin oder her – die Freiheit wird von zwei Sorten (innerer) Machtausübung bedroht: von undemokratischen Regimen sowie von Tradition und Tribalismus, die im Gewande des Glaubens auftreten.“
Wer eine weniger wissenschaftliche Beschreibung der Vorgänge, speziell in Palästina vorzieht, dem sei der Roman von Sayed Kashua dringend ans Herz gelegt. Er ist erfrischend undogmatisch, nicht antijüdisch, und doch auf eine schmerzhafte Art und Weise dem Schicksal seines Volkes verbunden.
Man wird mit Sicherheit von diesem Autor noch hören.
stellt und völlig von der Außenwelt abgeriegelt. Bald beginnt ein Kampf um Essen, Wasser und Gerechtigkeit.
Sayed Kashua, Da ward es morgen, Berlin Verlag 2005, ISBN 978-3-8270-0573-1
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-10-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.