Cristina Karrer ist in der Schweiz eine seit langem bekannte und gefragte erfolgreiche Journalistin. In ihrer hier vorliegenden bewegenden Autobiographie erzählt sie von der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter und deren Erkrankung an Demenz.
„Geht es um meine Kindheit, sehe ich nicht viel“, hält Cristina Karrer in ihrem lesenswerten Buch fest. Während die aus einem katholischen Milieu stammende Mutter zum It-Girl der Sechziger avanciert, wächst die Tochter u.a. bei Verwandten und im Kinderheim auf. Später wird aus dem enfant terrible eine Starjournalistin – und Mutterhasserin. Bis die Mutter an Demenz erkrankt.
Als Cristina Karrer nach langer Zeit der Nichtbeachtung und Verachtung der eigenen Mutter von deren Alzheimer Krankheit erfährt, holt sie die Mutter zu sich nach Südafrika. Und sie beginnt, sich neu mit der Geschichte ihrer Kindheit und ihrer Familie zu beschäftigen und erlebt dabei mit einigem Erstaunen, sich erstmals als Tochter ihrer Mutter fühlen zu können.
„Wahrscheinlich ist meine Mutter schon immer für mich da gewesen. Doch gespürt habe ich das in all den Jahrzehnten nur in flüchtigen Momenten. Ein halbes Jahrhundert musste vergehen, bis sie es von Herzen sagen und ich es von Herzen glauben konnte.“#
In dem Maß, in dem die Mutter krankheitsbedingt ihre Geschichte vergisst, gewinnt Cristina ihre eigene Vergangenheit, ihre Mutter, für sich zurück. Ein Stoff, aus dem sich ein intensives Gespräch über Bindung und Krankheit, Entfremdung und Sehnsucht entwickeln lässt.
Ein beeindruckendes, auch literarisch anspruchsvolles Buch.
Cristina Karrer, Meine Mutter, ihre Liebhaber und mein einsames Herz, Orell Füssli 2018, ISBN 978-3-280-05681-3
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2018-12-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.