Schon in der ersten herzzerreißenden Szene in der Lukas (Paul Dano) „sein“ Katzenfutter mit einem kleinen weißen Kätzchen teilt, wird einem die ganze Dimension dieser sehenswerten und humorvollen Tragikomödie bewusst: Glück ist das einzige, was mehr wird, wenn man es teilt. Lukas, der unter einer Autobahnbrücke in einem Karton schläft und eigentlich noch viel zu jung dafür ist, schon alle Illusionen aufgegeben zu haben, macht einen Selbstmordversuch und landet im Krankenhaus neben dem alten Haudegen Jacques (Brian Cox), der es auf dem Herzen hat. Zu viele Zigaretten, zu viel Alkohol, schlechte Ernährung haben ihren Preis und Jacques ist in das Alter gekommen, in dem er für alle seine Jugendsünden bezahlen muss. Noch dazu ist er Barbesitzer, was einem gesunden Leben nicht gerade zuträglich ist, muss er sich doch regelmäßig mit seiner Stammkundschaft, die aussieht als käme sie direkt aus „Wo die wilden Kerle wohnen“, besaufen, außer an seinem Geburtstag, da schmeißt er sie kurzerhand alle raus aus seiner Bar, denn er hasst Geburtstage und will sie auch nicht feiern. Der eine mag Katzen und bringt sich um, der andere mag Hunde und hat einen Herzinfarkt und ist ein ziemliches Arschloch.
Im Krankenhaus werden die beiden Freunde und Jacques will Lukas seinen Besitz - die Bar ist in einem Haus, das ihm gehört - vererben, da er weder Familie noch Freunde hat, nur einen deutschen Schäferhund, der auch schon etwas in die Jahre gekommen sein dürfte. Lukas lernt schnell die Gepflogenheiten des Barbetriebes, denn Jacques kritisiert ihn immer wieder und so gelingt ihm bald auch die richtige Crema für den Espresso. Er ist immer viel zu freundlich zu seinen Klienten, das sei nicht gut, verbessert ihn Jacques, Höflichkeit ja, aber Freundlichkeit nein, denn dann würden bald sie dich über den Tisch ziehen, statt du sie. Eine weitere Regel will Lukas einfach nicht begreifen, nämlich, dass eine Bar keine Konditorei und kein Cafè und kein Restaurant ist, sondern eine Bar und per definitionem von Jacques für maximal 13 männliche Personen geeignet ist, siehe Jesus und seine Jünger. Frauen haben also absolut nichts verloren bei Jacques, weder in der Bar, noch in seinem Leben. Deswegen betreibt er wohl auch eine Bar: als Rückzugsgebiet vor dem weiblichen Geschlecht.
Doch dann kommt sie. April schneit eines Abends in die schon geschlossene Bar. Draußen regnet es in Strömen und sie hat gerade ihre Flugprüfung als Stewardess versaut, weil sie ihre Angst vorm Fliegen entdeckte. Lukas will sie erst rausschmeißen, doch als sie weint, serviert er ihr den verlangten Champagner, damit sie sich wieder beruhigt. April (Isild le Besco) erinnert ein bisschen an das Kätzchen von der Eingangseinstellung, denn auch sie ist sehr bleich, fast weiß und spricht nur wenig. „Champagner ist kein Getränk mit denen man Muschis anfeuchtet, er ist für große Siegesfeiern im Sport“, schimpft Jacques und wirft beide hochkantig raus. „Frauen können nach außen hin sehr nett und freundlich sein, aber innen drinnen sind sie alle Huren und Schlampen.“ Jacques scheint in seinem früheren Leben nicht gerade die besten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht zu haben. Lukas und April ziehen also aus und leben auf der Straße, ernähren sich mit Suppenküchen, schlafen in Lukas` Kartons unter der Brücke…sehr herzzerrreißend und rührend ist dabei auch Aprils Blick, denn Lukas hat ihr nur sein altes Leben zu bieten, ansonsten gar nichts.
„Patient“ komme eigentlich vom lateinischen Wort für „Geduld“ und diese muss Jacques bald beweisen als er auf ein Spenderherz, ein „gutes Herz“, wartet, denn seines ist zu alt und muss unbedingt ausgetauscht werden. „Das Leben ist zu kurz für lausige Karren“ sagt Jacques dann und fährt mit seinem alten Vehikel zur Schrottpresse. Ab diesem Moment ändert sich auch seine Einstellung zum Leben radikal und er wird in Lukas`Worten endlich auch zum „Weichei“. Wie es dann schließlich doch noch dazu kommt, dass der griesgrämige Jacques ein gutes Herz bekommt und endlich auch seinen Frieden mit der Welt macht und sich auch zu einem guten Menschen entwickelt, sei hier nicht verraten. Nur so viel sei verraten, dass nämlich die Weihnachtsgans „Estragon“ dabei eine nicht unwichtige Rolle spielt. Philosophische Betrachtungen über Broccoli, Kneipengespräche, Weisheiten, Trinkerhumor, Stimulatoren und ein Haufen anderer Gags erwarten einem in dieser Tragikomödie, die einen unterhält und gleichzeitig auch sehr nachdenklich macht. Ein wunderbarer Film über das Leben, so wie es wirklich ist. Oft schäbig, schmutzig, gemein, aber dann auch wieder tragikomisch und voller Schönheit. In an April sky…
Dagur Kari (Noi Albinoi)
Ein Gutes Herz
Mit Brian Cox, Paul Dano, Isild le Besco
95 min
USA, Island, Dänemark 2009
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-03-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.