„Der Film, den man drehen müsste, ist der, den man sieht, wenn man die Augen schließt“, sagt einer der Protagonisten des Films an einer Stelle und spricht damit das aus, was wir uns wohl alle schon einmal gewünscht haben: „In meinen Film bin ich der Star, ich komm` auch nur mit mir alleine klar“ (Ideal in „Eiszeit“). Die Individualisierung unserer Gesellschaft schreitet immer mehr voran und es gibt eigentlich nur mehr eine Sache, die die Menschen verbindet: Sex. Ist dieser Film eine Zukunftsvision oder eine bittere Bestandsaufnahme des Istzustandes? Michel Foucault hat es schon 1983 so ausgedrückt: „Wir alle leben seit Jahren im Reiche des Fürsten Mangogul: Beute einer ungeheuren Neugier auf Sex, versessen darauf, ihn auszufragen, unersättlich darin, ihn sprechen zu hören, geschickt im Erfinden all der magischen Ringe, die seine Diskretion bezwingen können.“ (Der Wille zum Wissen, Sexualität und Wahrheit, Suhrkamp 1983:97)
Die Handlung des Films: Ein heruntergekommenes, fast leeres Apartment in Berlin, Nina, die Regisseurin im Film, will einen Film mit Hans und Marie, zwei jungen Schauspielern, drehen, in dem auch echte Sexszenen vorkommen sollen. Dabei legt sie am Ende auch gerne selbst Hand an und masturbiert in einer stillgelegten Peepshow vor ihrem ehemaligen Freund Hans. Marie spielt plötzlich keine Rolle mehr, der ganze Film scheint nur inszeniert zu sein, damit sich Nina an Hans aufgeilen kann, wie er eine andere Frau befriedigt oder sie ihn. Auf diese Weise bekommt auch Nina wieder Lust, vor allem aber Lust auf sich selbst.
Denn wie sagte schon Charles Baudelaire über die Onanie: „Ein gewisser Kultus mit sich selber“, definierte Baudelaire den Dandy, „der jeden Versuch, das Glück in anderen, in einer Frau zum Beispiel, zu finden, und alles übrige was man Illusion nennt, überwundenen hat“. Man könne folgerichtig den Exzess als weder teilen noch mitteilen. Er sei ebenso einsam wie die Onanie und diese arbeite wenigstens geistig. Dadurch erspare sich der Onanist auch die Enttäuschung, denn laut Baudelaire ernüchtere schon die Nacktheit. Sie entspreche nicht annähernd den Versprechungen einer entblößten Schulter, eines Dekolletés oder der Fesseln. Die sexuelle Distanz, beschwöre eine Vorfreude auf etwas, das ` so´ nie eintreten wird. „Ficken“, habe Baudelaire geschrieben, hieße in einen anderen einzudringen, „ein Künstler gehe aber niemals aus sich heraus“. Beischlaf sei also nur ein ungenügendes Surrogat der Onanie und nicht umgekehrt. Die Enttäuschung ist also nichts anderes als das Aufdecken einer Täuschung, eine Demaskierung, da bliebe man doch besser gleich unter sich und bringe die Phantasie auf Hochtour. Diese könne wohl kaum enttäuschen.
BEDWAYS ist in sieben Kapitel, aber nicht sieben Todsünden unterteilt, etwa „Erster Tag: Liebe“, „Zweiter Tag: Begehren“, „Dritter Tag: Gott“ usw., damit soll auch der Drehfortschritt kommentiert werden, denn am siebten Tage sollst du ruhen, der Film im Film kommt zum Stillstand, weil sich das Private gelöst hat und es für Nina plötzlich nicht mehr notwendig ist, diesen Film zu drehen, „den man sieht, wenn man die Augen schließt“. Vielleicht ist die Realität dann doch schöner, wenn man endlich weiß, was man will und es auch in die Tat umsetzt, dann braucht man wohl keine Filme mehr. Ein Gespräch in einem Auto, das im Schneetreiben vor dem Berliner Tacheles geparkt ist, bringt auch weitere Aufschlüsse über das Verhältnis zwischen Produzent und Regisseurin. Es verhält sich nämlich wie Hure zu Freier: „Der Freier zahlt nicht für die Intimität, sondern für deren Begrenzung“, weiß der Produzent und Nina scherzt mit ihm, sie wolle dreimal, aber ohne küssen. „Jeder für sich und alles für die Kamera“, aber am Ende wird selbst das in Frage gestellt.
Am vierten Tag („Nein“) sagt Hans zu Marie: „Du bist irgendwie komisch. Du bist plötzlich so anders.“ Er deutet auf ihren Trainingsanzug und sie antwortet schlagfertig: „Ich bin dieselbe“. Man könnte diesen Dialog auch so interpretieren, dass Hans sie nur aufgrund ihrer Kleidung oder eben Nacktheit erkennt, nicht aber als den Menschen, der sie ist, egal in welcher Kostümierung, ob Trainingsanzug oder Seidenstrümpfe. Die betörende Musik, „Flesh is the law“ von Mypark tut jedenfalls ihr Übriges, diesen Film als einschneidendes Erlebnis zu bezeichnen, das sich mit Beziehungen auf eine neue Art und Weise auseinandersetzt und zum Nachdenken anregt.
Regisseur und Produzent RP Kahl („Silvester Countdown“, „99euro-Films“, „Angel Express“) untersucht in BEDWAYS Liebe und ihre Abstraktion. BEDWAYS wurde bei der Berlinale 2010 als Abschlussfilm in der Reihe „Perspektive deutsches Kino“ präsentiert. Es folgten weitere Festivals, u. a. das Moscow International Film Festival und das Raindance Festival in London, sowie der Kinostart im Juni 2010. Derzeit befindet sich BEDWAYS in der Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis LOLA.
RP Kahl
BEDWAYS
Mit Miriam Mayet, Lana Cooper, Matthias Faust
76 Minuten
Deutschland 2010 www.kochmedia.com
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-02-17)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.