"Kutie Jones and the Sex Pistols" war laut Gitarrist Steve Jones der ursprüngliche Name der von Malcolm McLaren und Modeschöpferin Vivienne Westwood auf der Kings Road in London zusammengestellten Boyband, die das Establishment erschüttern sollte. SEX lautete auch der Name der Boutique, wo sich so allerhand Leute Ende der Siebziger ein Stelldichein gaben, um eine neue Musikrevolution aus den Angeln zu heben: PUNK!
Starker Tobak, dichter Rauch
"The bitter comes out better on a stolen guitar", eine Textzeile aus Bowies Ziggy Stardust sollte zum Lebensmotto des jungen Stevie werden. Selbst wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was Steve Jones den werten Leser:innen auftischt, ist es immer noch ziemlich starker Tobak. Ganz ungeniert erzählt er nämlich von seinen Raubzügen als Dieb (einmal erbeutete er auch einen Mantel von Keith Richards) und den vielen "Bienen, Hasen, Miezen und Schnecken" mit denen er Körperflüssigkeiten austauschte. Aber hinter der rauen Fassade des Machos und Großmauls steckt selbstverständlich auch ein schüchterner, sensibler Mensch. Auch ein gebrochener. Denn Steve wurde von seinem Stiefvater missbraucht. "Ich kann mit niemandem eine wirklich intime Beziehung führen, weil ich mich ständig nach potentiellen anderen Eroberungen umsehe. Ich fühle mich nur zu Fremden hingezogen. Das ist mein Tick." Aber Jones geht locker damit um, auch wenn es bei ihm vielleicht die Möglichkeit einem anderen Menschen zu vertrauen für immer zerstört hat. Wer aber glaubt Steve Jones hätte deswegen seinen Humor verloren und würde spätestens seit dem Ende der Sex Pistole endgültig Trübsal blasen, der irrt! Legende sind seine Kooperationen mit anderen Musikern, etwa Iggy Pop, Paul Simonon, Billy Idol, Andy Taylor (Duran Duran), Bob, Roy Orbison, Axl Rose, Ian Astbury, u.v.a.m. Zu seinen Vorbildern als Heranwachsender gehörten Rod Stewart und die Faces, Kubricks "Clockwork Orange", New York Dolls, Roxy Music und Glam Rock im Allgemeinen. Aus seiner Kindheit erzählt er nichts gutes, vor allem das Verhältnis zu seiner Mutter sollte sein Leben lang angespannt bleiben, weswegen er schließlich auch ganz aus England wegzog und sich in LA ein echtes Zuhause suchte.
Lonely Boy: Vom Saulus zum Paulus
Dort cruist er nun mit seinen Motorradkumpels um Micky Rourke durch die Hollywood Hills und fühlt sich wie ein Hai im Karpfenteich. Von dort aus schimpft er auch über das britische Klassensystem, das Leuten wie ihm nie ein Chance gegeben hatte. Es geht natürlich auch um die Sex Pistols, die Bill Grundy Show, das Thronjubiläum der Queen oder Malcolm und Johnny (Rotten). Dass er nie wie ein Punk aussah erklärt Steve damit, dass seine Haare nicht für einen Irokesen oder stacheligen Igelschnitt taugten und er sich deswegen ein verknotetes Stofftaschentuch a la Gumby von Monty Python auf den Kopf band (siehe Coverfoto). Den Titel der ersten Sex Pistols LP und die Lyrics des Song "Lazy Sod" reklamiert er für sich, aber auch Johnny bekommt seine Credits. Dass er Malcolm dabei half in dessen Film "The Rock'n'Roll Swindle" alle anderen wie Idioten aussehen zu lassen verschweigt er nicht, aber ohnehin hätte Malcolm damals niemand ernst genommen. Dass Steve tatsächlich wie ein kleiner Beau aussah dokumentieren die vielen Fotos des Buches, die ihn auch mit voller Lockenpracht (statt Iro) zeigen. Seinen Heroin-Absturz in den Jahren 79-86 kommentiert er dammit, sonst vielleicht noch viel schlimmeres angestellt zu haben. Schließlich war Kutie Jones ein professioneller Dieb, Junkie und Punk. Am 28. Oktober 1990 - 13 Jahre nach der Erstveröffentlichung von "Never Mind The Bollocks" - legt Steve Jones schließlich seine Vergangenheit ab und schafft es mit Hilfe des "12 Schritte Programms" clean zu werden. Und so ist "Meine Sex Pistols Geschichte" auch die Geschichte der Verwandlung eines Saulus zum Paulus. Heute moderiert er seine eigene Radiosendung "Jonesy's Jukebox" auf Indie 103.1FM in LA und ist froh, nicht mehr ständig "zugedröhnt zu sein".
"A Good Read" heißt es im Englischen, denn Jones' Narrativ hat alles was es zu guter Unterhaltung braucht. Humor und Selbstironie ebenso wie Ernsthaftigkeit und Seriosität und schließlich natürlich die Wandlung des Helden vom Rabauken und Dieb zum wertvollen Mitglied der Gesellschaft. Fast schon eine Milieustudie des Punk! Berührend sind nämlich auch seine Worte gegen Ende seiner Biographie, die er gemeinsam mit Ben Thompson verfasst hat: "Je älter ich werde, desto wichtiger ist es mir, mich gegenüber anderen Menschen netter zu verhalten. Einfach kein Wichser mehr zu sein." Auch diesbezüglich hat Jones übrigens einige Tipps auf Lager. Der Rolling Stone listete Jones 2011 auf Rang 97 der 100 besten Gitarristen aller Zeiten.
Jones, Steve mit Ben Thompson
Meine Sex Pistols Geschichte
Mit einem Vorwort von Chrissie Hynde
(Originaltitel: Lonely Boy: Tales from a Sex Pistol)
Übersetzung von Paul Fleischmann
1. Auflage April 2022, 360 Seiten, Broschur, Format: 21,5 x 14
ISBN 978-3-85445-731-2
hannibal Verlag
25,00 EUR
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-05-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.