„Ich möchte in die tiefsten Tiefen meines Seins vordringen, um Erleuchtung zu finden“, beschreibt der umstrittene Regisseur und Magier Alejandro Jodorowsky seine Film- und Lebensphilosophie. Seit 25 Jahren auf dem Index wird „El topo“ - der zweite Spielfilm Jodorowskys - von AL!VE in einer wunderschönen Luxusausgabe wieder vertrieben. Neben dem schönen Artcover des Schubers wird auch innen auf Raffinesse gelegt und zudem ein Booklet mit einem Interview des Regisseurs beigesteuert. Auf der zweiten DVD befindet sich auch der erste Kurzfilm „La cravate“ (1957), ein 21-minütiger Stummfilm, basierend auf „Die vertauschten Köpfe“ von Thomas Mann. Das Drehbuch dazu hatte Jodorowsky gemeinsam mit Jean Cocteau geschrieben. Dieser Film galt lange Zeit als verloren und wurde erst vor wenigen Jahren in Deutschland wiedergefunden.
Chilenischer Western in orientalischem Flair
In der ersten Einstellung des „Meisterwerks der Sinne“ reitet „El Topo“ (dt.: der Maulwurf) ganz in Schwarz auf einem Rappen mit einem nackten Kind auf dem Rücken durch die Wüste. Als die beiden in ein Dorf kommen, das von Banditen restlos ausgelöscht und in Blut (sic!) ertränkt wurde, kann El Topo von einem Sterbenden gerade noch den Namen des Anführers der Bande erfahren. Die Gnade den tödlich Verletzten ins Jenseits zu befördern überlässt er großzügig seinem wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat sechsjährigen Sohn, der nun, an seinem Geburtstag, zum Manne geworden sei und zuvor das Bild seiner Mutter und seinen Teddybär in der Wüste begrub. Als El Topo die Fährte vom Colonel aufnimmt und ihn bald stellt, entledigt er sich alsbald auch seines Sohnes mit den Worten: „Sei frei und von niemandem abhängig“. Doch gerade El Topo selbst begibt sich in die Abhängigkeit von einer blonden Frau, die ihn beauftragt, die vier Meister der Wüste zu stellen, damit er der Größte sei und sie ihn endlich lieben könnte. Auf seiner Herkulesfahrt bei der El Topo vier Abenteuer zu bestehen hat, die etwas an Alexander den Großen, etwas an Odysseus aber eben auch an Herkules erinnern, verändert sich der Protagonist aber und macht eine Entwicklung durch, die ihn zur Erleuchtung bringt. Von chinesischen Filmen habe er den „kompletten Bruch mit jeglicher ästhetischen, ethischen, moralischen, emotionalen oder politischen Verpflichtung gelernt“, so Jodorowsky im Booklet-Interview.
Ein Apfelbaum trägt Äpfel
„Wenn du groß bist, ist El Topo ein großer Film, wenn du beschränkt bist, ist El Topo beschränkt“, meint der Regisseur bescheiden in dem bereits oben angesprochenen Interview und wappnet sich so gegen jedwede Kritik. Nachdem seine Film in Mexiko über eine ganze Länge von einer halben Stunde gekürzt wurde, wurde ihm erst bewusst, gegen wessen Regeln er eigentlich in seinem Film verstoßen habe: „Mir wurde erst klar wie eine bourgeoise Gesellschaft denkt, als ich die Teile gesehen habe, die sie aus El Topo rausgeschnitten haben.“ Die Bourgeoisie fürchte sich vor dem Skandal, so Jodorowsky, aber diese Phase der kapitalistischen Gesellschaft dürften wir heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach den Dreharbeiten des Films, bereits hinter uns haben. „Ihr kämpft gegen Hindernisse und wisst gar nicht: je mehr ihr auf das Hindernis einschlagt, desto größer wird es. Wenn ihr jemanden besuchen fahrt, gebt Acht, nicht an die Tür zu klopfen, denn dann wird sie größer. Und so verhält es sich wohl auch mit dem Skandal. Aber einer wie Jodorowsky kann halt nicht anders, so wie ein Apfelbaum eben auch Äpfel trägt. „Ich muss die Schauspieler töten und sie müssen neu geboren werden. Und dann die Zuschauer; die Zuschauer, die ins Kino gehen, müssen ermordet, getötet, zerstört werden und das Kino als neue Menschen verlassen.“
Große Sensation in kleinem Format
„Der Maulwurf ist ein Tier, das nach der Sonne sucht. Und wenn er die Sonne erblickt, erblindet er.“ Der zensierte und umstrittene Western El Topp begründete 1970 sogar ein eigenes Genre, das Genre der Midnight Movies, das von so illustren Leuten wie John Lennon, David Lynch oder Marilyn Manson geliebt wird. El Topo kann als Mischung aus Kill Bill von Tarantino und „Il buono, il brutto, il cattivo“ von Leone bezeichnet werden. Sergio Leone habe ihn einmal, so erzählt Jodorowsky selbst, beim gemeinsamen El Topo-Schauen gefragt, wie er eine bestimmte Szene denn gedreht habe. Das sei doch eine typisch Kranszene, meinte Leone, doch Jodorowsky antwortete: „Aber nein, ich stand doch nur auf ein paar Stühlen!“ Der fernöstliche Spiritismus, den Tarantino später für Kill Bill klaute gibt dem Film ein ganz besonderen Hauch von Exotik. Aber auch die Erotik kommt nicht zu kurz. El Topo wurde als antikatholisch, frauenfeindlich, schwulenhasserisch und politisch inkorrekt verunglimpft, doch dabei geht es doch nur um einen Weg zur Heilung! Extras: Audiokommentar von Regisseur Alejandro Jodorowsky; Jodorowskys wiederentdeckter Kurzfilm DIE KRAWATTE (1957, 21 Min.); Jodorowsky über EL TOPO (5 Min.); Alejandro Jodorowsky trifft Nicolas Winding Refn (DRIVE, ONLY GOD FORGIVES); Alejandro Jodorowsky auf den Filmfestspielen in München.
Alejandro Jodorowsky
El Topo
Produktionsland / Jahr: Mexiko 1970/2014
Darsteller: Alejandro Jodorowsky, Brontis Jodorowsky, Alfonso Arau, David Silva, Paula Romo
Sprache / Ton: Deutsch DD 2.0 Mono, Spanisch DD 5.1, Spanisch DD 2.0 Stereo
Bildformat: Original Kinoformat 1.33:1 (4:3 Vollbild)
Untertitel: Deutsch
2 DVDs, mehr als 120 min, freigegeben ab 18 Jahren.
Extras: Booklet und Kurzfilme, Audiokommentare u.v.m.
Im Vertrieb von Al!VE
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-09-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.