Ausgesprochen gerne nehme ich Bücher zur Hand von Autorinnen und Autoren, die zum ersten Mal sich mit einem Roman auf den Büchermarkt wagen und denen es, manchmal nach langen vergeblichen Versuchen gelungen ist, einen Verlag davon zu überzeugen, dass ihr Debüt es wert ist, einem breiten Publikum präsentiert zu werden. Und nicht selten war ich in den letzten Jahren sehr positiv überrascht, von dem, was ich da entdeckt hatte.
Zunächst ging mir das mit dem hier anzuzeigenden Debütroman der 1974 geborenen und in Hamburg lebenden Julia Jessen ebenso. Mit einer knappen, hauptsächlich aus kurzen Hauptsätzen und immer wiederkehrenden Wiederholungen bestehenden Sprache soll der innere Zustand der ich-erzählenden Hauptperson charakterisiert werden.
In einem ersten Teil geht es um die kleine Oda, gerade einmal fünf Jahre alt. Schon in diesem Alter, versucht sie ihre Grenzen auszuloten, sich abzunabeln und sich mit der ersten Lüge einen Vorteil zu verschaffen. Ein überwältigendes Erlebnis: „Die Tränen habe ich abgewischt. Jetzt fühle ich mich wie eine Fee. Oder ein Zauberer. Ich habe ein Geheimnis. Und das werde ich behalten, denke ich.“
Im nächsten Hauptteil geht es um „Aufbrüche“. Oda ist mittlerweile 16 Jahre alt und sie schildert auf eine urkomische Art die Vorbereitungen und die Durchführung der Hochzeit ihrer Tante Anneke mit dem angehenden Arzt Nils. Auf der Insel Sylt findet alles statt und eine Schamanin ist beauftragt, die Zeremonie zu gestalten. Die wird jedoch durch das Auftauchen der Urgroßmutter Betty und deren von ihr geplanten spektakulären Tod (sie fällt in die Fischsuppe!) erheblich gestört und durcheinander gebracht.
Doch bei aller Schrägheit und Unübersichtlichkeit: die Familie, in der Oda lebt, trägt sie mit ihren vielfältigen Strukturen und Personen. Aber bei aller Geborgenheit spürt sie, dass ihr etwas fehlt. Sie flieht die Dunkelheit und strebt ins Helle, von dem sie nicht genau weiß, was das sein könnte.
In einem dritten Teil ist Oda schon einige Zeit mit dem Unternehmensberater Ulf verheiratet, vierzig Jahre alt und hat einen fünfjährigen Sohn, den kleinen Fritz. Sie möchte gerne ein zweites Kind, aber Ulf weigert sich. Oda beginnt eine sexuelle Beziehung mit Nils, dem sie sich fast ein Vierteljahrhundert vorher auf der Hochzeit in Sylt schon an den Hals geworfen hatte.
Alles ist unklar, Oda ist unglücklich und mir als Leser, der ich mich ab etwa der Hälfte des Buches nur noch durch die irgendwann langweilig werdende abgehackte und gehetzte Sprache gequält, bleibt dunkel, um was es letztlich der Hauptperson geht.
Natürlich: es geht um Familie, es geht um Liebe und ihre Enttäuschung und insofern um das Leben. Aber es ist ein Leben, das Oda leichtsinnig wie ich finden aus der Hand gleiten lässt. Ob sie am Ende die Helle findet? Und wie ?
Julia Jessen, Alles wird hell, Kunstmann 2015, ISBN 978-3-95614-024-2
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-02-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.