Der durchaus angesehene, erfolgreiche und zu seiner Zeit bekannte Marinemaler Carl Rasmussen steht im Mittelpunkt des neuen Romans von Carsten Jensen.
Gutsituiert, verheiratet, durchaus sein Auskommen findend, aber dennoch mit einer wunden Stelle in seiner Seele. Damals, als er als junger Kunststudent Grönland besuchte und in sich als ungeformter Maler eine Leidenschaft entdeckte, eine Ahnung verspürte, gemeinsam mit seinem Begleiter, dem Einheimischen Jonas, auf eine äußere und innere Entdeckungsreise ging. Eine innere Entdeckungsreise, die er im Verlauf seines mittlerweile durchaus erfolgreichen Lebens nicht weiter entfaltet hat. So treibt ihn die Frage um, ob er sich und seinem Talent gerecht geworden ist, oder doch nur ein harmloser Freilichtmaler geworden ist.
Eine Frage, die ihn, nun gealtert, erneut zur Reise nach Grönland treibt. Seit seiner ersten Reise war er klüger geworden, aber, wie er selbst sagt, „ein Mensch wird nicht besser, nur weil er klüger wird“. So geht er nicht nur auf eine Reise zu fernen Gestaden, sondern auch auf eine innere Reise zu sich selbst. Gerade die Zeit auf dem Schiff als einziger Passagier, oft im Gespräch mit dem strickenden Kapitän, beginnt er, die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit seines Lebens zu erkennen und ebenso wird er gewahr, dass sein, mit hohen Idealen begonnenes, Künstlerleben seinen Erfolg mit tiefgreifenden Lebenslügen erbaut hat.
Eine Einsicht, die ihren Höhepunkt in der inneren Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte und der anhaltenden, auch inneren, Lebendigkeit seines ehemaligen Begleiters Jonas findet, von dem ihm bruchstückhaft berichtet wird, den er aber nie wiedersehen wird.
Diese letzte Reise kulminiert am Ende des Buches in einem berührenden und mitnehmenden Zusammenfall der Erkenntnisse und Emotionen, aus denen heraus Carl Rasmussen einen weitreichenden und endgültigen Schluss zieht.
In einer dichten und dennoch langsam sich aufbauenden Atmosphäre vollzieht Carsten Jensen auch kleinste Nuancen der inneren Bewegung Rasmussens in sprachlich wunderbarer und mitnehmender Form. Wie bei einer Zwiebel schält er Schale für Schale des Protagonisten hinfort, bis auf das sich auflösende Gerippe der Person herunter. In der Substanz sich selbst erkennen müssen, wählt Rasmussen, kaum mehr klar bei Sinnen, zum Schluss hin das unwiederbringlich verloren gegangene Ideal, dem er in seinem künstlerischen Schaffen nicht nachgekommen ist. Detailliert und wirklichkeitsnah erfolgen auch die Beschreibungen der Reise, der sehnsüchtige Blick über das Meer und die kraftvolle Natur Grönlands, die eine solch tiefgreifende Wirkung auf seine Hauptfigur entfaltet.
Carsten Jensen ist ein sprachlich kraftvolles Buch gelungen, in dem er das universale Thema eines Lebens zwischen Anspruch und Wirklichkeit in teils fast poetischer Sprache intensiv in den Raum treten lässt. Die innere Auflösung der Person trotz äußeren Erfolges ist ein Erleben, dass über die Grenzen dieser konkreten Geschichte hinaus in (fast) jedem Leben einen Nachklang erzeugt und dazu anhält, sich den eigenen Kompromissen des Lebens zu stellen. Empfehlenswert.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-07-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.