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Alejandro González Iñárritu - Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Buchinformation
Iñárritu, Alejandro González - Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) bestellen
Iñárritu, Alejandro González:
Birdman oder (Die
unverhoffte Macht der
Ahnungslosigkeit)

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(Bücher frei Haus)

Es scheint, als wäre "Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit" in einem einzigen single shot gedreht worden, so rasant ist die Handlung und das Tempo dieses neuen Geniestreichs des mexikanischen Regietalents Iñárritu. Der Plot ist einigermaßen abgehoben und überraschend, handelt es sich doch um die Geschichte eines abgehalfterten Filmschauspielers dessen größte kinematographische Leistung in der Darstellung eines Superhelden – Birdman - bestand. Die von Michael Keaton (Riggan Thomson) meisterhaft dargestellte Figur will es kurz vor der Pensionierung noch einmal wissen und investiert sein ganzes Kapitel in die Aufführung eines Theaterstückst von Raymond Carver mit dem Titel "What We Talk About When We Talk About Love". Der Film zeigt die ersten drei Vorpremieren und was bis zur eigentlichen Premiere des Theaterstücks alles geschieht und vor allem wie es sich für Riggan Thompson anfühlt. Selbstgespräche mit seinem so erfolgreichen alter ego "Birdman", in einem basslastigen Bariton gehalten erzeugen eine einzigartige Sogwirkung und Authentizität, die das amerikanische Kino seit langem vermisst hat. Dabei handelt es sich doch zum größten Teil um "fiction", und gerade die ist so realistisch und nachfühlbar, wie es kaum ein anderer Hollywoodstreifen bisher geschafft hat. Aber Iñárritu ist ja auch Mexikaner und insofern nur beschränkt im Hollywoodstudiosystem einzuordnen, aber dennoch als Mexikaner eben auch ein Amerikaner im eigentlichen Sinne.

Superhelden wie du und ich
Die grandiosen Speerspitzen gegen Kritiker wie Tabitha Dickinson (Lindsay Duncan) gehören zu einigen der vielen dramaturgischen und schauspielerischen Höhepunkte dieses Films an der Grenze zu Genialität und Wahnsinn. Denn "Birdman" ist auch ganz großes Gefühlskino, etwa wenn Riggans Tochter Sam (Emma Stone) ihrem Vater in einem lange aufgestauten inneren und nunmehr sprudelnden Monolog endlich die ganz Wahrheit sagt, nämlich das, was sie schon lange über ihn denkt. Seine Moralpredigten bezüglich ihres Drogenmissbrauchs werden dann insofern persifliert, als dass sich Riggan selbst den von seiner Tochter angerauchten Joint so richtig durchzieht. Auch als Mike Shiner (Edward Norton) die Rolle seines Partners im Theaterstück übernimmt, kommt der Zuschauer des Films auf seine Kosten, denn was hier an schauspielerischer Leistung geboten wird, stellt selbst den echten New Yorker Broadway in den Schatten. Mike Shiner spielt bei den Vorpremieren seine Rolle nämlich nicht nur, sondern er improvisiert und das bedeutet, dass der auf der Bühne getrunkene Alkohol tatsächlich Alkohol ist - und er auch wirklich besoffen ist. Als Riggan das durch einen riskanten Blick hinter der Bühne bemerkt, tauscht er auf der Bühne - vor versammeltem Publikum - kurzerhand die Flasche aus, was wiederum Mike dazu veranlasst dies zum Thema seines ans Publikum gerichteten Monologs zu machen. Dazu muss man wissen, dass in Amerika Stücke oft erst vor geladenem Publikum gespielt werden, bevor sie der tatsächlichen Öffentlichkeit vorgestellt werden. Bei der eigentlichen, tatsächlichen Premiere übertrumpft Riggan aber selbst Mike mit seinen Improvisationskünsten, auch wenn er nur zufällig in die Situation gerät und aus der Not (er wird durch eine zufallende Tür vom Theater ausgesperrt und muss in Unterhosen über den ganzen Times Square zurück zum Theater laufen) kurzerhand eine Tugend macht.

Subjektive Kamerafahrten, glänzende Schauspieler
Was Birdman zu einem einzigartigen Film macht, sind aber eben nicht nur diese hier nur andeutbaren schauspielerischen Leistungen, sondern auch die oben schon erwähnten scheinbaren single shot Kamerafahrten, die immer wieder durch die langen und engen unterirdischen Gänge des Theaters führen. Erst als Riggan sich seiner selbst bewusst wird - nämlich dass er tatsächlich ein Superheld ist - und jeder, der seine Träume verwirklicht mit ihm - weiten sich die zuvor so engen, beklemmenden schnellen Kamerafahrten zu einer ruhigen, gelassenen Schrittfolge und die Kamera übernimmt alsbald die subjektive Perspektive des nunmehrigen selbstbewussten Superhelden Riggan birdman Thomson. Die Kamera und die Selbstgespräche Riggans machen die Figur Riggan/Birdman erfühlbar und erfahrbar und damit wird auch die politische Message des Filmes eindeutig: Auch Du kannst ein Superheld sein, wenn du es nur willst und genügend Selbstvertrauen beweist. Wenn Riggans Tochter ihren Vater nach der erfolgreichen Premiere dann in seiner Umkleidekabine besucht, um ihm zu gratulieren, richtet sich der Blick durch das Fenster zwar vorerst auf das Pflaster /Trottoir unter ihr, aber als die suchenden Pupillen dort nichts erkennen können, wandern sie nach oben in den Himmel, wo sich dieselben Pupillen dann erweitern und von einem erfreuten breiten Grinsen begleitet werden. Kurz bangt der Zuseher noch, einem Irrtum, ja, einer Illusion aufgesessen zu sein und Iñárritu spielt damit erneut mit der Illusion und fiction seines Filmstoffes, doch nimmt seine Regie den Zuseher dann doch wieder mit in die erleuchteten Höhen der "unexpected virtue of ignorance". Natürlich bleibt offen, worin genau nun diese "Ignoranz" besteht. Ist es die Ignoranz des Zusehers, der nicht bereit ist, der fiction zu folgen, wenn die Regie sie nicht als solche deklariert? Oder ist es die Ignoranz von Riggans Publikum, die ihn immer wieder nur als Superheld birdman sehen will oder zu sehen glaubt, auch wenn er in Unterhosen und Schmerbauch über den Times Square rennt? Auch das Verschwinden seines kongenialen Bühnenpartners - Mike Shiner - könnte der Regie als Fehler angelastet werden, denn dieser schwebt während der Premiere zwar mit Riggans Tochter Sam in der Höhe der Beleuchtungsanlagen in ihren Körper verwickelt über der Bühne des Theaters, für eine Schlusspointe darf er aber dann nicht herhalten oder wird ganz einfach nicht mehr gebraucht. Sam erkennt in der beschriebenen Schlussszene schließlich die wahre Größe ihres Vaters und bedarf deswegen wohl auch keines Mike Shiners mehr, der ohnehin nur ein arrogantes, großsprecherisches, egomanisches Arschloch ist und zu mehr eben auch nicht taugt. Dabei hatten sich die roof-Szenen mit der Skyline Manhattans im Hintergrund so romantisch angefühlt. Aber so eine Arschloch ist dieser Mike Shiner dann doch nicht, dass er mit der Tochter des Regisseurs schläft. Außer natürlich dann, wenn sie darauf besteht.

Enteignet die Kritiker!
Alejandro González Iñárritu der es schon mit Filmen wie Babel, Amores Perros, Biutiful, 21 Gramm verstand sein Publikum zu verstören, legt mit Birdman einen fulminanten, unerwarteten Film vor, der durch sehr viel Einfühlungsvermögen und Sentimentalität glänzt. Authentisches Kino wie man es von Hollywood ganz sicher nicht gewohnt ist und natürlich auch eine Verhöhnung der Studios, die auf Blockbusterproduktionen beharren, um möglichst viel Geld einzuspielen, dabei aber auf das ganz große Gefühl vergessen. Aber schließlich ist es doch eigentlich das, was wir im Kino suchen, oder? Materialschlachten und special effects können das einfach nicht ersetzten, was Iñárritu mit seinem Film für neue Maßstäbe setzt. Ganz großes Gefühlskino, das man seit "Casablanca" (1943) vergeblich in Hollywoods Mottenkiste sucht. Mise en abyme: ein echter Film im Film im Film. Grandioses Meisterwerke, wenn nicht das Meisterwerk des 21. Jahrhunderts.
Alejandro González Iñárritu
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
2015 Twentieth Century Fox

Alejandro González Iñárritu
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
BluRay, 2015 Twentieth Century Fox

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-07-01)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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