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Eva Illouz - Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen
Buchinformation

"I like ending things", heißt es irgendwo oder so ähnlich. Aber dann tut es einem vielleicht doch leid? Wer herausfinden möchte, warum gerade Frauen die Leidtragenden der gleichermaßen sexualisierten wie sexuell befreiten Speed-Dating- und Tinder-Kultur sind, findet hier wissenschaftliche Gründe. Aber auch, warum ausgerechnet Ronald Reagan und Maggi Thatcher das Ende der Familie einläuteten.

Das Spektakel des Flaneurs

Eva Illouz arbeitet als Soziologin schon seit zwei Jahrzehnten an der Erschließung der Gründe wie Konsumkapitalismus und die Kultur der Moderne unser Gefühls- und Liebesleben transformieren. Gefühle als Quelle von Autorität. Wie lange gibt es das schon? Das Recht, das Objekt seiner Liebe selbst zu wählen, entstand wohl nicht aus dem Mangel, sondern eher dem Überfluss. Gerade dieser Überfluss wird heute auch über Dating-Plattformen angeboten und macht dann das Trennen so leicht. Man kann "die Ware" bei Nicht-Gefallen zwar nicht zurückschicken, wie bei Ebay, aber dennoch gratis austauschen. Die Deregulierung der Märkte, eine Forderung aus den Achtziger Jahren, die wohl von niemandem so rücksichtslos und konsequent durchgeführt wurde wie von Thatcher und Reagan, kam einer sexuellen Revolution gleich, schreibt Illouz in Anlehnung an Jeffrey Weeks. In den Wirtschaftswissenschaften drehte sich alles darum, wie Menschen eine Wahl treffen, in der Soziologie darum, dass sie keine Wahl hätten: "Doch übersahen die Soziologen dabei vielleicht, was Ökonomen und Psychologen wissentlich erfassten: dass der Kapitalismus viele Schauplätze des sozialen Lebens in Märkte und das soziale Handeln in eine reflexive Wahl und Entscheidungsfindung verwandelt hat". Illouz nennt dies die "biographische Illusion" (die Wahl) einerseits und den "skopischen Kapitalismus"("betrachten") andererseits. Beides ging Hand in Hand. Die Ablösung der Familie als soziale Säule der Wirtschaftsproduktion ist wohl die letzte Bastion, die der Kapitalismus noch nicht (ganz) heimgesucht hat. Aber auch da bröckelt es schon. Das zeigt Illouz. Und warum Liebe endet.

Le plaisir de l'instant

Wozu sich überhaupt noch binden? Wenn es nicht mehr um die Reproduktion geht, sondern nur mehr um den Lustgewinn beider Geschlechter? Allerdings sind es immer noch die Frauen, die den überwältigenden Anteil der Fürsorgearbeit in der Gesellschaft übernehmen, während Männlichkeit immer noch durch Macht, Distanzierung, Autonomie und Zweck-Optimierung definiert werde, so Illouz. Aber verwirft Gelegenheitssex ("Le plaisir de l'instant) wirklich die Heteronormativität, "jenes Telos der Ehe, Monogamie und Häuslichkeit, dem die Sexualität untergeordnet ist"? Wohl nicht auf Dauer und keineswegs grundsätzlich. Aber: "Das ökonomisch-sexuelle Subjekt ist das eigentliche Subjekt der Moderne", denn es erzeugt einen ökonomischen Wert, während gleichzeitig Waren mit der Erzeugung sexueller Begehren verwoben sind, so Illouz. "Erotisches Kapital" sozusagen, wobei das "skopische Regime" den Blick in ein essentielles Instrument für diese sexuelle und ästhetische Mehrwertschöpfung verwandelt hat. Eva Illouz weist in ihrem atemberaubenden Grundlagenwerk außerdem noch nach, dass Überfluss zu Abwertung führe und diese kapitalismusimmanent sei. Auf diese Weise wird das Self Branding am (Dating-)Markt zum non plus ultra. Wer also mehr als nur eine bloße "situationship" will, also eine wirkliche Beziehung, muss heutzutage hart daran arbeiten. Oder wie sagte es Wolf Biermann, den Illouz zitiert: "Ich kann nur lieben, was ich die Freiheit habe auch zu verlassen". Oder besser noch Bourdieu: "Ich befreie mich lieber von allem falschen Zauber, um über die wirklichen `Wunder´ staunen zu können." Eine spannende Lektüre, die auch dann beflügelt, wenn man gerade nicht unter Liebeskummer leidet.

Eva Illouz
Warum Liebe endet
Eine Soziologie negativer Beziehungen
Aus dem Englischen von Michael Adrian
2020/2022, Broschur, 447 Seiten
ISBN: 978-3-518-29918-0
Suhrkamp Verlag
€ 20,00

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2023-07-15)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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