Biographien Rezensionen Diskutieren im versalia-Forum Das versalia.de-Rundschreiben abonnieren Service für Netzmeister Lesen im Archiv klassischer Werke Ihre kostenlose Netzbibliothek

 


Rezensionen


 
Bohumil Hrabal - Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene
Buchinformation
Hrabal, Bohumil - Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene bestellen
Hrabal, Bohumil:
Tanzstunden für
Erwachsene und
Fortgeschrittene

Bei amazon bestellen

(Bücher frei Haus)

„Der Kronprinz hatte sich die Syphilis geholt“, steht am Anfang der Geschichten, die in diesem Hörspiel voller Ironie und falschem Pathos Lust auf mehr Erzählungen alter Männer macht.Der Monolog eines alten Schusters, der vor einem schönen Fräulein seine Erinnerungen ausbreitet, wird in Bohumil Hrabals Erzählung zu einem Abgesang auf die gute alte Zeit, denn der Schuster lebt jetzt in der neuen Republik und die ist natürlich viel besser als seine Erinnerungsfragmente aus der K.- u.-K.-Zeit. Mit sehr viel Ironie gelesen von dem Wiener Urviech Helmut Qualtinger wird Hrabals Schuster in „Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene“ zu einer Art tschechischem Herrn Karl, der sein Leben Revue passieren lässt und wie das bei älteren Männern so ist, wird diese natürlich stark verklärt.

Im alten Österreich war das alles noch anders...

Erotische Erlebnisse mit den begehrtesten Frauen des Landes, seine Soldatenzeit bei der „größten Armee der Welt“ unter Franz Joseph, seine Lehrzeit, naive und sehr skurrile Anekdoten wechseln einander ab. Bata, der Schuhkönig – die Firma gibt es heute noch – habe ihn versucht abzuwerben, aber er hätte lieber den schönen Fräuleins zugeblinzelt, die oft ein „Gesicht wie ein Kätzchen auf den Schokoladetafeln“ gehabt hätten. Die meisten Fräuleins seien aber dennoch verzweifelt, entweder an der Liebe oder am Geld oder an beidem. Hrabal erzählt vom Fallschirmreisenden Holub, den Hoflieferanten die wie die heutigen Helden der Arbeit seien und einer Frau mit einem Glasauge, die beim Niesen im Kino dieses unter ihrem Sitz verliert. „Nur ein paar mal kurz geblinzelt“ und da war´s wieder drin. Er erzählt von Ödenburg, das ihn an Tirol erinnerte, an Budapest mit seinen weißen und roten Straßen und vor allem dem Bier, dem guten Budweiser Kristall und seiner berauschenden Vollmundigkeit.

Von den „Garantien des Eheglücks“

Immer wieder zitiert der Schuster das Buch „Garantien des Eheglücks“ von einem gewissen Battista, der Sehnsucht als Wechsel von der vertikalen in die horizontale Position beschreibt und dies mehr als geometrisches Problem, denn als irgendein anderes Problem sieht. „Zu Österreichs Zeiten waren die Menschen teilweise furchtbar reaktionär“, schwadroniert er und fügt larmoyant hinzu, dass die alte Zeit zwar Bettler gehabt habe, aber sonst auf Parade viel Wert gelegt habe. „Echte Poesie muss verletzen wie eine Rasierklinge beim Schneuzen die Nase verletzt“ und ohnehin sei der Mann für die Seele der Frau verantwortlich. Am Nachmittag sollte man trotzdem höchstens 3x Verkehr haben, Katholiken dürften aber 4x... alles laut Battista, fügt er schmunzelnd hinzu. Weitere Kalauer fügt der Schuster noch hinzu, etwa: Echte Leidenschaft oder was nur Marotte ist, das müsse man aber schon unterscheiden können. „Zu Österreichs Zeiten durfte in der Rindsuppe der Safran nicht fehlen...“ oder „Sokrates soll gesagt haben, die Hurerei ist die Beschäftigung von ansonsten Beschäftigungslosen“ und „Niesen war schon immer ein Zeichen guter Hoffnung“ und zuguterletzt: „Brieste wi Birrkriege...jetzt kommen sie wieder in Mode“.

Die Vorliebe der Dichter für Suff und Meditation...

Aber auch den „Defraudanten-Diavolo“ ham’s gspielt und Paraden, Bettler und Disziplin habe es im alten Österreich auch gegeben. Im Krankenhaus haben’s ihm sogar den Bauch rasiert und der Chefarzt habe eine Mütze aufgesetzt, wie ein Konditor, und ihm vorm Aufschneiden noch gsagt: „Falls Sie uns unterm Messer blieben...“. Aber bei einem Mann sei das ohnehin nicht so schlimm, dem stehe eh alles. „Ich will nicht, dass sich mein Blut fortsetzt... außerdem wer garantiert mir, dass es nach mir schlägt?“ Aber man sterbe ohnehin allein hinter der spanischen Wand... „Der europäischen Renaissance huldigen, ohne, dass einem dabei eine Menge Leute zusieht...Zu Zeiten Österreichs kamen viele bei Wirtshausschlägereien um, denn „ein österreichischer Soldat muss immer als erster schießen damit er Sieger wird“. Die Vorliebe der Dichter für Suff und Meditation, wenn die Verzweiflung nahe ist, öffne sich bald der Himmel.“ Und auf die Frage wie steht`s mit der Gesundheit? Pisste er in Garten oder spielte Weitpinkeln im Gasthof Terrasse...“Wenn wir in Wien sind, gehen wir bummeln“, sagte die Konduktorin im Zug. Eben.

Ein herrlicher Text, eine tolle Stimme. Humor vom Feinsten.

Bohumil Hrabal
Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene
Gelesen von Helmut Qualtinger
Produktion: 1965
CD, Preiser Records

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-10-04)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


-> Möchten Sie eine eigene Rezension veröffentlichen?

[ weitere Rezensionen : Übersicht ]

 

Anmelden
Benutzername

Passwort

Eingeloggt bleiben

Neu registrieren?
Passwort vergessen?

Neues aus dem Forum


Gedichte von Georg Trakl

Verweise
> Gedichtband Dunkelstunden
> Neue Gedichte: fahnenrost
> Kunstportal xarto.com
> New Eastern Europe
> Free Tibet
> Naturschutzbund





Das Fliegende Spaghettimonster

Ukraine | Anti-Literatur | Datenschutz | FAQ | Impressum | Rechtliches | Partnerseiten | Seite empfehlen | RSS

Systementwurf und -programmierung von zerovision.de

© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz

v_v3.53 erstellte diese Seite in 0.007084 sek.