In ihrem letzten vor fünf Jahren erschienenen Roman „Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist“ erzählte die Schriftstellerin Sandra Hoffmann die sehr einfühlsame Geschichte einer Lebensbilanz und einer große Liebe. Die Geschichte eines Lebens voller Bewahrung und voller schmerzhafter Verluste. Und es war eine stille Hommage an die unzähligen unbekannten Menschen, die in den Hospizen und Heimen dieses Landes sterbende Frauen und Männer begleiten, indem sie ihnen zuhören, ihre Hand halten und es aushalten, sonst nichts mehr tun zu können. Jedes Leben ist wertvoll, und es ist wert erzählt zu werden, das war die leise Botschaft dieses zärtlichen Buches, das, wie sich nun im zweiten bisher leider von der Kritik wenig beachteten Roman „Paula“ herausstellt, ebenso biographische Bezüge besitzt wie „Paula“ selbst.
Als die Großmutter gestorben ist, sitzt die Erzählerin vor einer Kiste voller Bilder, die sich ihr nicht öffnen. Denn was kann man von einem Leben erinnern, was kann einem bleiben von einem Menschen, der sich sein ganzes Leben lang dem Schweigen verschrieben hatte?
1997 ist sie gestorben ist Paula mit 82 Jahren gestorben. Nun fast zwei Jahrzehnte danach macht sich Sandra Hoffman auf eine schmerzhafte aber schlussendlich heilsame Spurensuche. Sie ist "Gast und die Fremde zugleich" in ihrer eigenen Geschichte, die dadurch geprägt ist, dass sie ebenso wie die Großmutter immer an ihre Rollen scheiterte.
"Sie hat ihr ganzes Leben, alle ihre Geheimisse, aber auch alle ihre Nöte mit ins Grab genommen." Die Autorin, selbst aufgewachsen in einem freudlosen und vom Schweigen dominierten Elternhaus, überschattet von einem dunklen Geheimnis, will mit ihrer Spurensuche dem Leben der geliebten und gehassten Großmutter genauso eine Geschichte geben wie das eigene auf eine neue Spur zu setzen.
Sandra Hoffmann erzählt eindrucksvoll und voller Brüche von ihrer tastenden Suche nach einem Glück, das es auch im Leben der Großmutter einmal gegeben haben muss. Indem sie eine über das Schicksal der ehemaligen Reinemachefrau hinausreichende Biografie entwirft, schreibt sie auch ihr eigenes Leben neu und gibt ihm neuen Grund.
Was mich sehr berührt hat, ist eine große Liebeserklärung an den Ehemann der Autorin. Mit ihm, schreibt sie, sei "alles besser, nur weil wir uns haben, auch wenn wir gerade kilometerweit voneinander entfernt sind".
Ein kluges und sehr berührendes Buch. Ich bin auf das nächste Buch von Sandra Hoffmann sehr gespannt.
Sandra Hoffmann, Paula, Hanser Berlin 2017, ISBN 978-3-446-25682-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2017-11-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.