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Jochen Hörisch - Theorieapotheke
Buchinformation
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Hörisch, Jochen:
Theorieapotheke

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(Bücher frei Haus)

Das Desaster der zeitgenössischen Intellektuellen äußert sich augenscheinlich in dem Nicht-Stattfinden im öffentlichen Diskurs. Dort, wo sie im letzten Jahrhundert nicht wegzudenken waren, sitzen heute Sprechblasenproduzenten, deren theoretisches Fundament weit hinter dem Basalen zurück bleibt. Bevor man zu ergründen sucht, wieso das so ist, bietet sich eine andere Methode an, der der Mannheimer Wissenschaftler Jochen Hörisch nachgegangen ist. Inspiriert von Hans Magnus Enzensberger machte er sich daran, die human-wissenschaftlichen Theorien nach einem zugegeben skurrilen, bei näherem Hinsehen aber gar nicht so abwegigen Denkschema aufzulisten, was im sozialen Kokon der Universitäten an Theorien entstand.

Ausgangspunkt der Betrachtungen ist die Feststellung, dass nach dem Tod der großen, vor allem in Deutschland so verehrten philosophischen Systeme, die mit dem Anspruch daher kamen, alles zu erklären, was die Welt hervorbrachte, ein Phase der Philosophiegeschichte kam, in der der Heilungsaspekt gesellschaftlicher Symptome überwog. Folgerichtig und mutig greift Hörisch zu der Metapher der Apotheke und präsentiert dieses Buch mit dem Titel Theorieapotheke. Eine Handreichung zu den human-wissenschaftlichen Studien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen. Folgerichtig gibt er in sehr pointierter Weise zu jeder Theorie, die er kurz vorstellt, ein Resümee unter dem Titel Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen.

Und man glaubt es kaum, Hörisch kommt bei seiner Auflistung auf insgesamt 32 Theorieansätze, die er für würdig hält, näher betrachtet zu werden, weist aber gleichzeitig darauf hin, wie viele er nicht berücksichtigen konnte. Dennoch erfahren die Leserinnen und Leser etwas über die Analytische Philosophie, Derridas Dekonstruktion, Foucaults Diskurstheorie, die Hermeneutik, Watzlawicks Kommunikationstheorie, den Kritischen Rationalismus, die Frankfurter Schule und Blumenbergs Metaphorologie bis hin zu Luhmanns Systemtheorie und der Zivilisationstheorie von Norbert Elias. Kurz und prägnant und mit dem Witz des Überlebenden fasst der Autor die wesentlichen Thesen zusammen und gibt Hinweise auf die zeitgenössische wie spätere Rezeptionsgeschichte.

Es ist zu empfehlen, die einzelnen Beiträge nachzuschlagen, wenn Interesse besteht, weil eine chronologische Lektüre das hervorbringt, was Hörisch mit einem Augenzwinkern in Form eines Wittgenstein-Zitats dem Ganzen voranstellt: Die Methode des Philosophierens ist es, sich wahnsinnig zu machen, und den Wahnsinn wieder zu heilen. Um sich jedoch mit den einzelnen Theorien näher zu befassen, empfiehlt es sich wie immer, die Originaltexte zu lesen.

Was sich bei der Lektüre aufdrängt und als epistemologische Beigabe quasi genossen werden kann ist die Erkenntnis, dass die Kritikfähigkeit einer Branche existenziell abhängig ist von den kodifizierten und textlich formulierten Theoremen, von der sie ausgeht. Und rein phänomenologisch wird sehr schnell klar, dass eine große Epoche human-wissenschaftlicher und sozial-philosophischer Welterklärung im letzten Jahrhundert hinter uns liegt und wir uns derzeit in einer kritisch-spirituellen Wüste befinden. Letztere ist ein Symptom für die Implosion des Intellektuellen als gesellschaftlich relevanter Kraft. Während in dem vom Autor erfassten Zeitraum große Verwirrung über das Konkurrieren unzähliger Möglichkeiten der Welterklärung vorherrschte, wird heute zumeist leeren Blickes auf Hirnforschung oder Kybernetik verwiesen.

Das Buch ist als Utensil, welches durchaus von Nutzen sein kann, zu betrachten. Und es fördert die Inspiration auf der berühmten Meta-Ebene zu reflektieren, woher nach der Sprachverwirrung dieser Jahre das große Verstummen kam.

[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-06-16)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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