Christopher Hitchens, kurz The Hitch genannt, galt sowohl in seinem Heimatland Großbritannien als auch seiner späteren Wahlheimat, den USA, als einer der bissigsten und unbequemsten Journalisten. In Deutschland wurde er erst spät aufgrund seiner wüsten, unerbittlichen Religionskritik zur Kenntnis genommen, welche in dem Buch Der Herr ist kein Hirte (2007) Ausdruck fand. Noch bevor bei streitbaren und strittigen Journalisten Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde, schrieb er seine Memoiren unter dem Titel The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen. Im Jahr 2011, ein Jahr nach Erscheinen der Erstausgabe, verstarb der Autor 61jährig in Texas.
Die vorliegende Autobiographie ist für einen Deutschen Leser vor allem interessant, weil es durchweg um Politik geht, die von ihrer Wirkung auch in Deutschland eine große Rolle gespielt hat, in Großbritannien und den USA aber ganz anders diskutiert wurde. Neben der beeindruckenden Schilderung über seine frühe Sozialisation, die in einer Navy-Familie mit post-kolonialem Aroma stattfand und sich dann auf Schulen in Cambridge und einem Studium in Oxford fortsetzte, ist überaus aufschlussreich, wie sich der junge Hitchens aufgrund seines Gerechtigkeitsgefühls und seiner Kriegsgegnerschaft zu einem Trotzkisten entwickelte und aus dieser revolutionären Attitüde heraus journalistisch zu arbeiten begann.
Das Wertvollle an dem vorliegenden Buch ist die undogmatische und tabulose Herangehensweise an das Zeitgeschehen und die Vermittlung profunder Erkenntnisse in nahezu lakonischen Sätzen. Wenn Hitchens schreibt, irgendwann Ende der siebziger Jahre sei ihm aufgefallen, dass Diskussionsredner plötzlich begannen, ihrer Rede einen Exkurs über ihre Gruppenzugehörigkeit vorauszuschicken und daraus allein schon Legitimation und Verdienst ableiteten, dann ist das nahezu eine seismographische Beobachtungsgabe, die die Abkoppelung des Leistungsgedankens von der politischen Legitimation in den spätkapitalistischen Gesellschaften zum Gegenstand hat. Hitchens beschreibt sehr eindrucksvoll, wie ihm die Entwicklung in Großbritannien den Garaus gemacht hat und letztendlich welche Motive es waren, die ihn veranlassten, seiner von Margaret Thatcher kontaminierten Heimat den Rücken zuzukehren und in die USA zu emigrieren.
Doch auch dort blieb er der Kritiker und der Engagierte. Vor allem sein bedingungsloses Eintreten für Salman Rushdie, dem von der iranischen Fatwa bedrohten britischen Schriftsteller, ist ein Lehrstück über die Doppeldeutigkeit und, wenn man so will, Verlogenheit der Politik im Westen. Hitchens zeichnet unbarmherzig die Linien des Opportunismus und der Kälte, die letztendlich die Schwäche der westlichen Demokratien zunehmend hervortreten lassen. Die Inkonsequenz im Prinzip als die opportunistische Variante eines um sich greifenden Populismus ist es, die Hitchens immer wieder analysiert und anklagt.
Und richtig böse wird es in Bezug auf die Politik im Nahen Osten, vor allem den Irak. Hitchens, der selbst oft dorthin reiste und das Land des Saddam Hussein bereits in Zeiten kannte, als der Diktator noch als Verbündeter des Westens galt, rechnet sowohl mit der amerikanischen Bündnispolitik als auch mit der Linken ab, die sich später so vehement gegen den Irak-Krieg wandte. Man stelle sich vor, so schreibt er, in London hätten eine Millionen liberale und humanistische Leute aus pazifistischen Motiven gegen den Krieg gegen den Faschismus demonstriert. Hitchens nennt unzählige Beispiele, um das Grausame und Faschistoide der Hussein-Herrschaft zu illustrieren. Er plädiert für den Krieg, ohne das Schmerzhafte in seinem eigenen Erkenntnisprozess auszusparen.
Hitchens Buch ist in allen historischen Fällen, die es schildert, konsequent wie unbequem. Das sind Eigenschaften, die wir uns für Journalisten so sehr wünschen. Schade, dass The Hitch nicht mehr schreiben wird! Um sehr mehr ein Argument dafür, das zu lesen, was er geschrieben hat!
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-04-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.