„I wanted to step out of your shadow, but when I did it, there was no sunlight at all“, sagt Rollo zu Ragnar am Ende der Schlacht. Der Bruderzwist im Haus Lothbrok hatte sich ja schon in der ersten Staffel dieser atemberaubenden irisch-kanadischen History Television Produktion angekündigt. Während Ragnar Lothbrok sich mit König Horik verbündet, beschließt Rollo Lothbrok nämlich sich mit Jarl Borg gegen die beiden ersteren zu verbünden. Rollo will nicht länger im Schatten seines berühmten Bruders stehen und Jarl Borg versteht es mit psychologischem Geschick Rollo gegen Ragnar aufzuhetzen. Die erbitterte Schlacht am Anfang der zweiten Staffel will diesen Bruderzwist ein für allemal klären, doch schließlich ist das Blut doch stärker als die vermeintliche Freundschaft mit Borg und so unterwirft sich Rollo seinem Bruder Ragnar und streckt seine Waffen vor ihm. „He is my brother, he will not betray me, for he has no reason.“, glaubte Ragnar, aber Floki anwortet: „Who needs a reason for betrayal? One must always think the worst, Ragnar, even of your own kind. That way you avoid too much disapointment in life.“
“Skol!“ aus dem Skull
Nach einem Zeitsprung von vier Jahren hat Lagertha sich von Ragnar getrennt und dieser hat mit Prinzessin Aslaug, einer Nachkommin Sigurds, des Drachentöters, gleich mehrere Söhne gezeugt. Als Horik und Ragnar nach Wessex gegen König Egbert ziehen, überfällt Jarl Borg das Dorf Ragnars, Kattegat, und will Rache dafür nehmen, dass er aus dem Bündnis der beiden ausgeschlossen wurde. Rollo hält nun aber zu seiner Familie und beschützt sie vor Jarl Borg, was Ragnar später von Rollos Treue wieder überzeugen wird. Besonders gelungen ist die Figur des Jarl Borg, der stets den Totenkopf (englisch: skull) seiner verstorbenen Frau mit sich trägt, um daraus zu trinken oder mit ihr zu reden. Vielleicht ist so auch der Trinkspruch „skol“ entstanden, denn teilweise vermischt sich die Sprache der Nordmänner mit jener der Engländer.
„All in favor, say Bah!“
Die Zuseher dieser Serie erfahren sehr viel über das alltägliche Leben der Wikinger. So ermahnt Ragnar seine Frau mit den Worten „We should not wash our dirty clothes in front of others“, als sie dessen Bigamie beklagt. Ragnar ist schlau wie ein Fuchs, denn er glaubt, er könne beide Frauen behalten: Lagertha die Kriegerin und Aslaug die Prinzessin. Als sein Bruder vom Lawgiver für seinen Verrat verurteilt werden soll, befindet sich nach dem „Gottesurteil“ eine Münze in der Hand des Richters, die zuvor Ragnar gehörte. Ragnars Freundschaft zu dem Kriegsgefangenen Mönch, Athlestan, erweist sich ebenfalls als kluger Schachzug, denn dieser wird ihm später in der Handlung unverhofft zur Macht verhelfen. Athlestan wurde in Northumbria als Priester gefangen genommen und tritt in der Serie auch als Erzähler auf, der zwar zum Heidentum übertritt, aber weiterhin Visionen von Jesus und Maria hat. Die Rolle des „Verräters“ in der Geschichte wäre ein interessanter Untersuchungsgegenstand, denn gerade durch sie wurde Kulturvermittlung erst möglich. So spricht Athlestan nicht nur zwei Sprachen, sondern kann auch schreiben und lesen.
Verliebte Wikinger
Dass Wikinger auch Gefühle haben, zeigen nicht nur die Tränen Ragnars, wenn er seinen verkrüppelten Sohn aussetzt, sondern selbst der verrückte Schiffbauer Floki entwickelt sich in dieser Staffel vom rätselhaften Einzelgänger zum sorgenden Familienvater. Verrat, Freundschaft, Liebe und Getriebe und Sex geben Einblicke in die Welt der Frauen und Männer der Wikingerstämme. So gibt es zwischen der Kriegerin Lagertha und Aslaug (sie ist eine Völva und kann in die Zukunft sehen) keine Konkurrenz und erstere sagt zu letzterer sogar bewundernd: „Was du tust ist viel wichtiger als zu kämpfen“ und blickt dabei auf Aslaugs gewölbten Bauch. Die Zeitlupe wie Horik nachdenkt, die nymphomanische englische Königin, der Blutadler und der Königsmord am Ende der zweiten Staffel gehören zu weiteren Höhepunkten dieser einzigartigen und einmaligen Saga. Auch ein Seher kommt immer wieder zu Wort und sorgt mit seinen Prophezeiungen für zusätzliche Spannung. Hinzu kommen Träume und durch Pilze ausgelöste Visionen, die auch die ästhetische Gestaltung der Serie wesentlich beeinflussen. Zu Beginn einer Folge häutet Ragnar etwa eine Ratte vor einem Feuer, während er mir nichts dir nichts einen Dialog mit Rollo führt und die Ratte dann über dem Feuer grillt. „Suffer no more, but thirst and thigh salvation“, das könnte auch das Motto der Nordmänner gewesen sein. Auch wenn viele Dinge natürlich aus unserer Zeit stammen, vermittelt „Vikings“ doch auch sehr viel Authentizität, denn viele Details – wie die Wikinger lebten – wurden sorgsam recherchiert. So macht Geschichte Spaß.
Michael Hirst
Vikings – Die komplette Season 2
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[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-09-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.