Der Ost-Berliner „Romeo-Agent“ Lars Weber, gespielt von Tom Schilling, soll im Westen die dort für den Britischen Geheimdienst arbeitende Lauren Faber (Sofia Helin) verführen und so an für die Stasi wichtige Informationen rankommen. Sein V-Mann Ralf Müller (Ben Becker) setzt ihn nach Scheitern der Mission auf Sabine Cutter (Friederike Becht) an, aber diese ist nicht nur die Tochter eines amerikanischen Generals und NSA-Mitarbeiterin, sondern trägt auch ein Geheimnis in ihren Genen, das hier nicht verratet werden soll. Oliver Hirschbiegel, der schon mit „Der Untergang“ und „Elser“ auf geteilte Aufmerksamkeit bei Kino- und Fernsehpublikum stieß zeigt das Leben in den beiden Deutschlands aus unterschiedlichen Perspektiven. Denn neben der Spionagegeschichte geht es auch um Fluchtversuche und das Sportwesen in der DDR. Aber natürlich werden auch die neuesten Erkenntnisse über die USA, die ihre Verbündeten bespitzeln ließ, für diesen dreiteilige Doku-Soap verwendet.
Doping, Leistungssport und das gute Gewissen
„Der Leistungssport, Genosse Weber, ist die Speerspitze um den Kampf um die internationale Anerkennung der DDR“, meint der Trainer von Klara und „Das wird Konsequenzen haben, Herr Weber, glauben Sie nicht, dass das kein Nachspiel haben wird.“ Lars’s Vater Gregor Weber ist Zeit seines Lebens überzeugter Sozialist gewesen, aber immer mehr wird auch seine Faust lockerer, wie er seinem Sohn bei einem Gespräch anschaulich macht: erst hält die Faust den Sand in sich dicht geschlossen, doch je mehr Zweifel sich einschleichen, desto lockerer wird die Faust und umso mehr Sand rieselt heraus. „Das ist der Zweifel: einmal nagt er an dir und du wirst ihn nicht mehr los.“ Der Grund seines Zweifels am Sozialismus: Sein Bruder Conrad, dessen Ehe mit Gita immer mehr zu einer Farce wird, verliert seine jüngste Tochter, Klara, an den Leistungssport, denn ohne Doping gab es damals keine Leistung. Die Ehe zerbricht fast und auch Gregor selbst hütet ein dunkles Geheimnis über seine Vergangenheit. „Fiktiv aber exemplarisch“ wird in vorliegendem Dreiteiler die Geschichte der beiden deutschen Staaten im Jahre 1974 erzählt, dem Jahr in dem es dank Jürgen Sparwasser sogar zu einem Sieg der DDR über der BRD bei der Fußballweltmeisterschaft kam.
Leben unter einem geteilten Himmel?
Dass auch Fotos ein Konstrukt der Realität sind, also nur ein Ausschnitt und nicht die ganze Wirklichkeit, darauf wird Lars von seinem neuen Romeo-Opfer Sabine in der Villa ihres amerikanischen Vaters und NSA-Generals hingewiesen. Während Lars seinen Dienst für’s Vaterland sogar mittels „postkoitaler Beeinflussung zwecks Informationsgewinnung“ beweist, graben andere einen Tunnel und betreiben Republikflucht. Dass die Filmemacher sich dafür ausgerechnet das Schwulenmilieu der DDR ausgesucht haben mag nur ein kleines Bonmot am Rande sein, die expliziten (schwulen) Sexszenen hingegen zeigen, dass es auch von vorne geht, wenn die Leidenschaft groß genug ist. Während sich Sabine und Lars schüchterne Küsschen geben dürfen und sich beim Tanzen zu „The first time I ever saw your face“ (Roberta Flack) in einem Café sogar einmal umarmen dürfen, konterkariert ganz schön die damaligen herrschenden Moralvorstellungen in Ost und West. Zumindest beim Billardspielen darf Sabine führen: denn die Billardszene ist voller sexueller Anspielungen und endet doch nur wieder mit einem Kuss. „Oh wo kommt das jetzt her?“, zeigt sich Lars dann später überrascht, als ihn Sabine beim Kochen plötzlich von hinten umarmt. Er hat zwei Mütter und deswegen wohl doch nicht gelogen? Ein Tischfick für die Heteros und Ralf Müller hört mit: „das Leben der Anderen“.
NSA und Brandt’s Ostpolitik
„Lieber drei Sekunden in der Kloake, als ein ganzes Leben in der Scheiße“, meinen die Tunnelgräber, denn der Kanal in den Der gegrabene Tunnel führen wird, ist durch Gitter abgesperrt, sie müssen also durchtauchen, in die Freiheit. Dpoch dann werden sie verraten und es kommt alles ganz anders. Interessant sind besonders die Szenen mit General Cutter, der etwas von der „Birdseye Connection“, der CDU vs. SPD und Nixon vs. Kissinger labert. Willy Brandt’s Ostpolitik war führenden Kreisen in Ost und West ein Dorn im Auge und das musste natürlich torpediert werden. So oder so, von links oder von rechts. Im Kino in Berlin soll damals „Der letzte Tango in Paris“ (1972) und „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (1973) gelaufen sein, im Zoopalast, beim Kurfürstendamm. Gut recherchiert oder Zufallstreffer? „Ist das schon alles? bei den Nazis habe ich schon viel schlimmere Sachen erlebt. Bloß wofür?“, beschwert sich ein Verhafteter des Tunnelbaus beim Wärter und mit diesen Worten wird das ganze Drama der DDR offensichtlich: Wofür? Die digitale Uhr zeigt nur die Zeit an, die man hinter sich hat, meint Vater Weber schließlich zu Sohn Lars, und nicht die, die man noch vor sich hat. Er will sein Geschenk nicht.
Am Ende kommt alles so wie es kommen muss. Alle Menschen sind Brüder und manche sogar Bruder und Schwester. Der Sozialimus ist tot und Lehrer Weber wischt auch den letzten Satz von der Tafel: „Sozialismus ist...: Das Recht des Kindes auf die Förderung seiner Fähigkeiten“. Wer sagt denn, dass es keine glücklichen Zufälle gibt?
Oliver Hirschbiegel
Der gleiche Himmel
Deutschland, 2017,
Mit Tom Schilling, Sofia Helin, Friederike Becht, Ben Becker u.v.a.m.
UFA FICTION / Beta Film / ZDF
DVD/BluRay Polyband 2017
EAN: 4006448364465
ca. 270 Min. (3 x 90 Min.) + Bonus
onus-Features inklusive Making Of und Interviews mit Cast & Crew
Softbox im Schuber
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-04-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.