Unter den Leihgebern für die Ausstellung „Rom und die Barbaren“ finden sich Museen aus Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Österreich, Russland, Polen, Tschechien, Ungarn und viele mehr. Die gleichnamige Ausstellung zu diesem prächtigen Katalog, die unter der Schirmherrschaft der drei Präsidenten Sarkozy-Köhler-Napolitano stand, fand im Palazzo Grassi am Canal Grande in Venedig und in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn statt. Als weiterer gewichtiger Mitarbeiter fand sich die Ecole Francaise de Rome. Ebenso international besetzt wie die Zusammenarbeit der Museen sind auch die Verfasser der Beiträge dieses Ausstellungskataloges. Insgesamt sind es sechs Themen, die von einer Vielzahl internationaler wissenschaftlicher Kapazitäten bearbeitet resp. vorgestellt werden.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit einer ebenso zeitgemäßen wie alten Frage nach der Identität von Römern und Barbaren. Es geht um die Darstellung von Beziehungen und Konfrontationen der beiden Kontrahenten im 1.-3. Jahrhundert n. Chr. Dabei spielt selbstverständlich auch die Religion eine Rolle, sowie die kommunalen Organisationsformen und Bestattungsriten. Die „römische Identität“ wird von Andrea Giardina mit folgenden Worten beschrieben: „Rom betrieb eine exklusive Praxis, weil es keine ethnischen Hierarchien unter den Völkern in seinem Herrschaftsbereich duldete. Aus der Integration machte es einen fast naturwüchsigen Prozess, der von der Zeit, nicht von den Stammbäumen bestimmt war.“ Erst nach der Völkerwanderung hätten die Franken den trojanischen Topos wieder aufgenommen, um ihre Herrschaft durch ethnische Genese zu legitimieren.
Im zweiten Kapitel wird der Weg des Zusammenbruchs des Reiches und die Wiederherstellung zu einem christlichen Reich nachverfolgt. Die Beiträge zu diesem Kapitel stammen unter anderem von Peter Heather oder Doug Lee und Yves Moderan. Letzterer geht der kontrollierten Einwanderung von Barbarengruppen in das Römische Reich nach und stellt fest, dass etwa die integrierten gotischen Gemeinschaften bald zu groß wurden, um sie in dem traditionellen Integrationsprozess (Verteilung im Reich) zu unterwerfen, was sie immer unkontrollierbarer machte. Auch aus den „foederati“ wurde bald eine ernsthafte Bedrohung, denn Rom beherrschte seine Grenzen im Okzident nicht mehr. Das dritte Kapitel wiederum widmet sich dem Barbareneinfall und genau diesem Zerfall der Grenzen im Okzident. Die Beiträge zu diesem Kapitel zählen immerhin 20 und die Liste der Verfasser ist so aufregend wie ihre Inhalte. Da geht es nicht nur um die Hunnen und ihr „ante portas“, sondern auch die Schilderung der Plünderung Roms durch seine Zeitgenossen. Pannonien und Illyrien im 5. Jahrhundert werden von Arno Rettner und Dieter Quast genauer unter die Lupe genommen. Bruno Dumezil schreibt in seinem Beitrag über die Bekehrung der Barbaren, dass vor allem die Hypergamie in den Eliten zur Christiansierung beigetragen hätten: „Eine Frau von vornehmer Herkunft zu heiraten, verpflichtete dazu, ihren Kultus zu respektieren, ja, ihr sogar die Entscheidung über die Religion ihrer Kinder zu überlassen.“ Die Franken verheirateten als Zeichen ihrer Autonomie gerne ihre Frauen ins Ausland und diese sorgten – wohl noch nachhaltiger noch als der Klerus - für deren Verbreitung.
Die beiden letzten Kapitel gehen dann noch auf die Entstehung der Barbarenreiche auf römischem Boden (5.-8. Jahrhundert) und die Religion, Kultur und Gesellschaft in diesen Königreichen ein. Das Kapitel über das karolingische Europa und die neuen Völker (8.-10. Jahrhundert) bildet den Abschluss und findet auch noch erklärende Worte zur barbarischen Identität und Ethnogenese. Walter Pohl schreibt: „Die Identität all dieser Völker war nicht von Anfang an gegeben, sie musste von Generation zu Generation erworben und veränderten Bedingungen angepasst werden.“ So vergingen bisweilen Jahrhunderte bis aus germanischen Franken romanische Franzosen, aus Angeln und Sachsen die Engländer oder gar aus Germanen die Deutschen wurden, wie Pohl betont. Auch viele Barbarenvölker bestanden aus unterschiedlichen Gruppen und Ethnien, was diese auch für eine ihrer Stärken hielten, so Pohl. Viele Völker seien sogar zweisprachig geblieben, Sprache als Identitätsmerkmal fiele also aus. Selbst die Vandalen (die tatsächlichen, nicht die sprichwörtlichen) hätten Ende des 6. Jahrhunderts in römischen Villen gewohnt und seien gerne ins Theater gegangen, wie der byzantinische Geschichtsschreiber Prokop beobachtet hatte. Dass aus der kriegerischen Begegnung der Völker am Ende auch Koexistenz resultieren kann, ist ein wünschenswertes Ergebnis, das durch die Nationalstaaten vorerst usurpiert wurde. Das Modell der „Nation als Ersatzreligion“ hat in unserer Zeit endgültig ausgedient und die zeitgenössische Historiographie kehrt wieder zu einem übernationalen Narrativ zurück, wie auch vorliegender Band – trotz des provokant dichotomischen Titels – beweist.
Im Anhang findet sich eine Zeittafel, ein Verzeichnis der ausgestellten und zumeist im Katalog abgebildeten Werke, sowie Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis. Natürlich wird das Reich auch in Karten und Personen mit Abbildungen dargestellt, sodass ein komplexes Bild einer der wohl fruchtbarsten Übergangszeiten der Weltgeschichte entsteht.
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2009-01-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.