"Ich war immer einer von denen, die gebannt in tödliche Abgründe schauen und Angst haben, sie könnten sich dazu hinreißen lassen, zu springen.", schreibt Matt Rowland Hill am Ende seiner Tour de Force durch seinen Bericht seiner Heroinabhängigkeit. Heute arbeitet der in Südwales geborene Journalist und Buchrezensent unter anderem für The Guardian, The Independent, The Telegraph, The New Statesman und Literary Review. Der Roman "Erbsünde" ist sein literarisches Debüt in dem er einen schonungslosen Beichte über sein Leben als Heranwachsender im GB der 1990er ablegt.
Zwischen Verderben und Erlösung
Der "Son of a Preacher Man" wie er sich selbstironisch an einer Stelle von "Erbsünde" bezeichnet, hat seinen Katechismus gelernt. Als Sohn eines walisisch evangelikalen Baptistenpfarrers und einer offensichtlich an den Teufel glaubenden Mutter, lässt er sich schon mit 16 Jahren zu Drogen verführen. Harten Drogen. Allzu verlockend ist die Flucht vor dem Versprechen eines Lebens nach dem Tod oder gar dem Himmel, wenn einem eine Droge wie Heroin das schnelle Glück im Diesseits in weniger als einem Augenzwinkern bescheren kann. Aber eben nur für höchstens 1-2 Sekunden. Die schrecklichen sozialen Folgen dieses Spiels mit dem Teufel Heroin, dauern dann allerdings weitaus länger und sind ihm als Jugendlichen natürlich noch nicht bewusst. Zwischen Verderben und Erlösung verbringt er seine Jugend und sein junges Erwachsenendasein, bis es ihm endlich dämmert, dass es so nicht weitergehen kann. Obwohl es ihm selbst eigentlich egal gewesen wäre. Aber sein jüngerer Bruder bei dem sich Matts Mitbewohnerin Maria verzweifelt meldet, bringt das Blatt wohl genau an dem Punkt zum Wenden von dem es (fast) keine Rückkehr mehr gegeben hätte. Es ist alles andere als eine glorreiche Geschichte, die einem so ein Drogenleben beschert und Matt Hill schildert es schonungslos in allen bitteren Details. Dass er etwa Maria beklaute, die ganze Zeit über alle anlügte und eigentlich längst keine wirklichen Freunde mehr hatte, sind im Grunde genommen noch die offensichtlichsten Verheerungen, die Drogen und speziell Heroin anrichten. Viel schlimmer aber noch sind die sozialen und gesundheitlichen Folgen für den Süchtigen selbst, wie Hill glaubwürdig schildert. "Man wird nicht für das bestraft, was man tut, sondern durch das was man tut."
Hier ist der Himmel, jetzt
Denn schließlich muss auch er einsehen, dass nicht seine Eltern oder seine Erziehung seine Sucht verursachten, sondern alleine er selbst. "Lange Zeit hatte ich meine Familie einzig durch eine dunkle Brille des Vorwurfs gesehen; ich war der Meinung, sie schuldeten mir etwas, sie seien irgendwie für meine Probleme verantwortlich. Jetzt aber sah ich, dass wir alle unseren Schmerz trugen; jeder von uns hatte verletzt und war verletzt worden. Wir hatten das Unglück der anderen nicht gewollt. Es hatte uns nicht an Liebe gefehlt, nur an Können." Matt Hill erzählt nicht nur vom Suchtalltag, sondern auch von den unzähligen Versuchen von der Sucht loszukommen. Er macht damit anderen Mut, es ebenfalls zu versuchen und weiß doch, dass jeder Tag ein neues Unheil oder Glück bedeuten könnte. Von Kindheit an auf eine Art Heilserwartung getrimmt, dass die Erlösung doch eines Tages kommen müsse, begreift er schlussendlich gerade durch die Sucht, dass diese Erlösung nur in dem Moment kommen kann, in dem man gemeinsam mit anderen Menschen ein lebenswertes Leben aufbaut und nicht ständig darauf wartet, dass es geschieht. Denn der Himmel "ist eine riesige blaue Kuppel, von der das Geschrei eines nahen Fußballspiels dumpf widerhallt" und: auf nichts mehr zu warten. Sein erschütterndes sehr lesenswertes Romandebüt hat er seinem leider schon verstorbenen Bruder Jonathan gewidmet, mit dem er gerne mehr Zeit verbracht hätte. Matt Rowland Hill ist eine neue, aber schon mächtige und klare Stimme am literarischen Firmament von der man sicher noch mehr hören wird. Neu an dieser Stimme ist die Verquickung von Drogen und Religion als Leitmotiv und die Heilserwartung im Jetzt. Gerade bei dieser Lektüre.
Matt Rowland Hill
Erbsünde. Roman
Aus dem Englischen (USA) von Malte Krutzsch
2023, Hardcover, 352 Seiten
ISBN: 978-3-0369-5006-8
Kein & Aber
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2023-03-14)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.