Zu Beginn des 21. Jahrhunderts muß man keinen Falken mehr verzehren, um novellistisch tätig zu sein. Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter kann Mikroblogging zu einer Form der Literatur mutieren. Haimo Hieronymus dampft die Gattung der Novelle zu Twitteratur ein.
Wenn die Novelle aus dem Italienischen übertragen als Kleine Neuigkeit übersetzt werden kann, dann liegt Herr Nipp wohl richtig, denn kurz sind seine Texte nun wirklich. Zwischen zwei bis vier Sätzen spielt sich alles ab. Da können Welten, Landschaftsgemälde und weltgeschichtliche Ereignisse entstehen und uns in die Vergangenheit oder Zukunft mitnehmen. Er macht weder halt vor Märchen und Bibel, noch vor aktuellen Ereignissen oder Legenden des Films. Die Naturbeobachtungen treffen immer nur den Kern, nachdem das Fruchtfleisch entfernt und von andern gegessen wurde. Ohne auf die Erfordernisse der Twitteratur zu achten wird ein eigener Weg verfolgt, der trotzdem oder gerade deshalb in diese Zeit passt. Entweder es entstehen heute unendliche Geschichten mit tausend Seiten oder kürzeste Textfragmente mit zehntausend Reflexionen. Da Herr Nipp als virtuelle Figur das Schreiben nicht studiert hat, sondern der von Hieronymus geschaffen Legende nach über seine Zufallsnotizen und Tagebücher zum Verfassen kam, mag man ihm einige Ungereimtheiten verzeihen. Es natürlich kann auch sein, dass alles geplant ist. Hier geht es nicht um intellektuelle Komposite, sondern das Hintergründige wird nach vorne geschoben und auf der Straße breitgewalzt. Zur Not auch eine Eidechse. So wird das Buch zu einem großen Krabbeln, einer kitzligen Verameisung.
Alle Forderungen der Literaturwissenschaft werden in wenigen Wörtern eingehalten: Zentraler Konflikt, Leitmotiv oder Dingsymbol, straffe und vorwiegend einlinige Handlungsführung, das pointierte Hervortreten eines Höhe- und Wendepunktes, stark raffender Handlungsbericht, besondere Vorausdeutungs – oder Integrationstechniken, Zurücktreten ausführlicher Schilderungen äußerer Umstände oder psychischer Zustände, hohes Maß an Objektivität, doch trotzdem subjektive Erzählhaltung usw. (siehe Metzler Literatur Lexikon, 1984. Seite 308ff).
Tatsächlich kippen die Kurznovellen zwischen Schwank und Philosophie, zwischen ernsthafter Weltbeschreibung und banaler Posse. Dabei nehmen sie sich Themen an, die manchmal auch unangenehm sind und zeigen an jedem Falkenmotiv eine neue, zumindest aber eigene Perspektive auf, die verblüfft oder nachdenklich stimmt.
Haimo Hieronymus hat in seinem 64-seitigen Band einige Texte des Blogs von Herrn Nipp zusammengefasst. Auch wenn man dieses Buch in einer halben Stunde durchlesen kann, lohnt es sich und manchmal kann man sich ein gemeines oder schadenfrohes Schmunzeln nicht verkneifen.
Unerhörte Möglichkeiten, Twitteratur von Haiomo Hieronymus, Edition Das Labor 2012
[*] Diese Rezension schrieb: Matthias Hagedorn (2012-12-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.