Bei ersten Fall hatte ich den Eindruck, dass ich schon sehr lange keinen Kriminalroman mehr gelesen habe, der neben einer selten erlebten pageturner-Qualität über 800 Seiten einen Spannungsbogen aufbaut, der einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Wüsste man nicht, dass das Buch nach 200 Seiten noch gar nicht fertig ist, dann wäre man an dieser Stelle schon völlig überzeugt, den Täter zu kennen. Und so geht das immer weiter, immer neue Spuren und Hinweise tauchen auf, doch dann ändert sich die Lage, und Kommissarin Lund muss weiter suchen.
Eigentlich sollte sie mit diesem Fall ja gar nichts mehr zu tun haben. Zusammen mit ihren Kindern und ihrem neuen Mann will sie gerade nach Schweden umziehen, wo sie schon eine neue Stelle bei der dortigen Polizei hat. Doch der Fall, mit dem sie zunächst in den letzten Tagen ihrer Tätigkeit in Kopenhagen zu tun hat, erfasst ihre ganze Person, wie ich es noch nicht einmal bei Mankells Wallander erlebt habe. Und der war schon ein Berserker, der sich selbst am wenigsten schonte, wenn es um die Lösung eines Falles ging.
Lund setzt alles aufs Spiel, ihre Kinder, ihren neuen Partner, ihre Zukunft, bis nach etwa vier Wochen das Rätsel gelöst ist. Und das auf eine völlig überraschende Weise, die der Leser all die 800 Seiten nicht für möglich gehalten hätte.
Dieser außergewöhnliche Roman beschreibt eine epische menschliche Tragödie und ermöglicht einen erschütternden Einblick in das Wesen der Trauer. Und im Subtext geht es immer wieder um die Frage, die auch schon andere Krimiautoren, vorzugsweise aus Skandinavien umgetrieben hat: Was geschieht, wenn eine Gesellschaft den menschlichen Zusammenhalt vergisst?
Das war zum ersten Fall zu sagen. Nun, nachdem dieser abgeschlossen ist, wird Sarah Lund vom Dienst suspendiert und wenig später strafversetzt. Ihr berufliches und erst recht ihr privates Leben ist zerstört. Sie absolviert einen eher eintönigen Dienst bei der Zollkontrolle und hat sich mit der Einsamkeit der Provinz arrangiert.
Als ihr ehemaliger Vorgesetzter Lennart Brix Kontakt zu ihr aufnimmt, reagiert Sarah reserviert. Anne Dragsholm, eine Rechtsanwältin, ist ermordet und ihre Leiche öffentlich zur Schau gestellt worden. Mit großen Bedenken sagt Sarah Lund ihre Mithilfe zu. Kurze Zeit später kommen auch noch Myg Poulsen und David Grüner, ehemalige in Afghanistan eingesetzte Elitesoldaten ums Leben.
Zwar gesteht der Ehemann der Rechtsanwältin bald die Tat, doch Lund hat erhebliche Zweifel und ermittelt weiter. Es zeigt sich, dass Die Anwältin in einen zweifelhaften Einsatz einer Sondereinheit in Afghanistan verwickelt war. Als dann auch noch ein Video auftaucht, in dem sie Rache für getötete Muslime fordert, scheint es klar, welche Richtung der Fall einschlagen wird, steht doch im Parlament die Verabschiedung des Antiterrorgesetzes ins Haus.
Militärs, Politiker und Lobbyisten – und Sarah Lund genau dazwischen. Wie schon im ersten Band geht es um die politischen Verhältnisse in Dänemark und hier wie dort werden unzählige Handlungsfäden am Ende genial zusammengeführt.
David Hewson, Das Verbrechen. Kommissarin Lunds 2. Fall, Zsolnay 2014, ISBN 978-3-552-05668-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-02-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.