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Wolfgang Herrndorf - Tschick
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Herrndorf, Wolfgang:
Tschick

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(Bücher frei Haus)

“Seit ich klein war, hatte mein Vater mir beigebracht, dass die Welt schlecht ist. Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch. (…) Aber das Seltsame war, das Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegnet sind, das nicht schlecht war.”, sinniert der Protagonist, Maik Klingenberg, an einer Stelle des köstlich amüsanten Schelmenromans von Wolfgang Herrndorf. “Tschick”, Andrej Tschichatschow, ist “der Neue” in der Klasse, er kommt aus Russland und ist im Unterricht meistens alkoholisiert, wenn nicht, schreibt er manchmal sogar eine Zwei in Mathematik. Am letzten Schultag klaut er einen blauen Lada und holt Maik von zu Hause ab. Sie wollen mit dem Auto in die Walachei fahren, Tschick hat dort Verwandte. Die beiden sind vierzehn.

Was sich dann auf den folgenden 254 Seiten entwickelt ist nicht nur eines der lustigsten deutschen Literatur-Roadmovies durch ein unbekanntes Deutschland rund um Berlin, sondern auch eine Liebesgeschichte und eine Geschichte über`s Erwachsenwerden. Herrndorf spielt aber gerne mit Klischees und am Ende des Romans, bei der Gerichtsverhandlung, kommt heraus wer die wahren “Assis” sind, die echten Asozialen. Maik kommt nämlich aus einer gut bürgerlichen Familie, mit Swimming Pool und so, aber seine Eltern sind die wirklich verkrachten Existenzen, nicht die von Tschick. Maik ist zudem unsterblich in seine Mitschülerin Tatjana verliebt, allein, sie weiß nichts von ihrem Glück. Als er als einer der wenigen nicht zu ihrer Geburtstagsparty am Anfang der Sommerferien eingeladen wird, möchte er am liebsten ausflippen, doch Tschick überredet ihn, die sorgfältig angefertigte Beyonce-Zeichnung doch noch bei Tatjana abzuliefern, bevor sie dann im wahrsten Sinne “die Kurve kratzen”. Der Auftritt und ihr Abgang ist Legende. Die Reise beginnt.

Auf ihrem Weg durch Deutschland Richtung Walachei, in der sie aber nie ankommen werden, lernen die beiden lauter nette Menschen kennen, die sie zum Essen einladen oder sie freiwillig ins Krankenhaus fahren oder auf sie schießen, um danach friedlich Tee mit ihnen zu trinken und vom wahren Krieg zu erzählen. Sie lernen aber auch ein Mädchen kennen, Isa, Isa Schmidt, die ihnen die “Geschichte mit dem Schlauch” und der “Kommunalkraft” erklärt und ihnen noch so manche andere Sache voraus hat. Es gibt nämlich auch Mädchen die sich nicht so zieren, Mädchen wie Isa, die gleich sagen was Sache ist. Es sind gar nicht alle so wie Tatjana. Die Ausdrucksweise von den beiden Jungs und die Sprüche, die ihnen Herrndorf in den Mund legt, sind unglaublich komisch, da will Maik einmal “nicht wie Obst aussehen”, Andrej mal sehen, “was gerade Phase ist”, einem anderen wird “der Stecker gezogen” oder sie haben einen guten Plan, wie “Hannibal und die Alpen”. Genial sind aber auch die Erklärungen der beiden für die Welt oder einige der Beschreibungen der Personen, etwa der Sprachtherapeutin als “Flußpferd mitten in Deutschland”.

“Und eines müßt ihr euch merken, meine Täubchen”, sagt der schwule Weltkriegsveteran zu den beiden bei ihm gestrandeten Jungs, “Alles ist sinnlos. Auch die Liebe. Carpe diem.” Übrigens “spielt” auch Richard Clayderman mit, seine “Ballade pour Adeline” plätschert auf der einzigen mitgebrachten Kasette im Autoradio, gerade während ihres Unfalles. Herrndorf versteht es Dinge auszusprechen und sie spatter wieder so aufzunehmen, dass sie zu einem witzigen Knaller werden. So fliegen die beiden Jungs dann am Ende doch auf und werden getrennt. Der Lehrer Wagenbach fängt dann ausgerechnet die Kassiber zwischen der nach dem Sommer neu erwachten Tatjana und Maik ab und liest sie der gesamten Klasse vor. “Ich glaube er wäre wahnsinnig gerne Schauspieler geworden oder Kabarettist. Aber es hatte nur zum Arschloch gereicht.” Der unvergessliche Sommer, den Maik mit Tschick verbrachte, kann aber ohnehin nicht auf einem Spickzettel untergebracht werden. Zudem hat Maik nun die Option sich zwischen zwei Mädchen zu entscheiden: Isa hat ihm geschrieben. Jetzt kann er Tatjana erst recht wieder die kalte Schulter zeigen. Ein Leben beginnt, carpe diem, quam minimum credula postero.

Wolfgang Herrndorf
Tschick
2010
Rowohl Berlin Verlag
ISBN: 978-3-87134-710-8
17,50.-

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-12-31)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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