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Daan Herma van Voss - Abels letzter Krieg
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Herma van Voss, Daan:
Abels letzter Krieg

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(Bücher frei Haus)

Das vorliegende Buch ist ein engagiertes Plädoyer für einen bedingungslosen Einsatz in einer Gegenwart, in der sein Autor mannigfach Parallelen zieht zu einer Vergangenheit, in der während des Nationalsozialismus Millionen von Menschen verfolgt wurden und den Tod fanden. Dieser Vergleich, der sich van Voss` Protagonisten Abel Kaplan immer wieder aufdrängt, ist gewagt, und ich bin mir nicht sicher, ob er der Grund ist, warum das schon 2018 bei DTV erschienene Buch bisher jedenfalls keine nennenswerte Resonanz bei der hiesigen Literaturkritik gefunden hat.
Abel Kaplan war früher ein durchaus erfolgreicher Schriftsteller. Doch seit einiger Zeit will ihm nichts mehr einfallen. Seit langem wartet er auf die Idee für das große Buch. Seine Frau Eva, deren Namen er angenommen und für die er zum Judentum konvertiert ist, mag nicht mehr mit ihm zusammenleben, nur zum gelegentlichen Sex treffen sie sich. Weil er kaum noch Tantiemen verdient, arbeitet er in Amsterdam in einer islamischen Schule. Aus einem kleinen Raum, der aussieht wie eine Rumpelkammer, erledigt er diversen Verwaltungskram und notiert akribisch die Fehlzeiten der Schüler. Hier habe ich schon zum ersten Mal die Stirn gerunzelt angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Konstruktion. Weitere Handlungskonstruktionen ähnlicher Art werden im Laufe des Buches folgen. Bei jedem anderen Buch hätte ich es aus der Hand gelegt und auf den Lektor geschimpft, der so ein wirres Konzept zulässt, doch irgendetwas an diesem Abel Kaplan hat mich vom ersten Moment an angezogen. Es ist nicht sein Weltschmerz und seine Unzufriedenheit, es sind die Dinge, die sein Leben von heute auf morgen auf den Kopf stellen.

Da ist ein Schüler, der von seinen Mitschülern gemobbt und schwer gequält wird. Doch seine naiv-hilflosen Briefe an den Rektor der Schule werden nicht beantwortet. Gleichzeitig entdeckt Abel in der Stadt ein Gebäude, das hoch umzäunt ist und von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht wird.
Seine Freundin Judith erzählt ihm, dass es sich um eine Abschiebelager für Roma handelt, was ihn in seiner Weltsicht, da wiederhole sich Geschichte, nur bestätigt. Während dieses Lager geräumt wird, rettet er einen Romajungen und nimmt ihn bei sich auf.

Und Abel kopiert heimlich das Tagebuch, das Judiths Vater hinterlassen hat und in dem der seine Erfahrungen als junger Häftling im Vernichtungslager Auschwitz aufgeschrieben hat.

Diese drei Erfahrungen machen aus dem vorher eher stillen und passiven Zeitgenossen einen getriebenen Menschen, der glaubt, die Welt und sich selbst retten zu können und dabei ständig Grenzen überschreitet. In der Schule findet er keinen geeigneten Weg, dem kleinen Ibrahim zu helfen, wählt ungeeignete und naive Interventionen und wird schließlich entlassen.
Die Betreuung des Romajungen überfordert ihn und seine Vorstellung, er tue genau das, was Menschen im Dritten Reich taten, als sie Juden versteckten, fand ich überzogen und unangemessen.

Sein Umgang mit dem entwendeten Tagebuch ist genauso widersprüchlich. Er passt die Einträge an, verändert sie und macht sie so zu einem eigenen Text, von dem er sich singuläre literarkritische Aufmerksamkeit verspricht. Er gerät an den Historiker van Stolk, der sich selbst als Fälscher herausstellt.

Der Roman ist mit vielen verschiedenen, teilweise unwahrscheinlichen Handlungssträngen überladen, transportiert aber zwei wichtige Botschaften: einmal ist es wichtig und richtig, gegen aktuelle Gewalt und aktuelles Unrecht aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen, aber eben nicht allein und einzelkämpferisch wie Abel es tut. Und zum anderen ist es wichtig, die Erinnerungen und Dokumente von Zeitzeugen für kommende Generationen zu erhalten und zu bewahren

Abel Kaplan scheitert mit seinem großen Buch und auch Daan Heerma van Voss` Versuch eines Porträts eines leidenschaftlichen Menschen, der versucht in unmenschlichen Zeiten menschlich zu sein, misslingt an vielen Stellen.

Dennoch: der Roman hat mich mitgerissen und die Frage, die er stellt, nicht losgelassen: was bedeutet es heute, menschlich zu sein und was bedeutet es, Verantwortung zu nehmen innerhalb von gesellschaftlichen Zuständen, die tatsächlich an üble Zeiten erinnern, die meine Generation lange überwunden glaubte. Doch nun vor dem letzten Viertel unseres Lebens müssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass vieles auf einmal wieder möglich scheint und die Zukunft unsere Kinder dunkler scheint als wir für möglich hielten.

„Abels letzter Krieg“ erinnert daran.

Daan Heerma van Voss, Abels letzter Krieg, DTV 2018, ISBN 978-2-423-28968-9

[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2019-05-20)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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