Das vorliegende Buch des renommierten Historikers Ulrich Herbert, der auch unter den Mitgliedern seiner Zunft im Ausland ein sehr hohes Ansehen genießt, ist ein Mammutwerk, vor dem man dennoch trotz seiner 1250 Druckseiten ( der Rest besteht aus den Anmerkungen und dem ausführlichen Literaturverzeichnis) nicht zurückscheuen sollte. Insbesondere dann nicht, wenn man als im 20. Jahrhundert geborener und aufgewachsener Zeitgenosse einmal etwas genauer hinter die Kulissen und die Zusammenhänge schauen möchte, verstehen will, wie es zu den Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs kam, wie der Holocaust bis in die Gegenwart wirkt und vor allem, wie sich das neue, demokratische Deutschland bis 1989 und erst recht nach der Deutschen Einheit 1990 in Europa und in der Welt einen Namen machte als eine Gesellschaft und ein Staat, der sich seiner Vergangenheit gestellt hat und ein Gemeinwesen aufgebaut hat, auf das man durchaus stolz sein kann.
Ulrich Herbert sieht aber Gefahren, wenn er schreibt: „So ergeben sich die für die Zukunft zu erwartenden Gefährdungen überwiegend nicht aus den inneren Spannungen und Widersprüchen dieses Landes, wie das einhundert Jahre zuvor der Fall war – wenngleich die ausländerfeindlichen Pogrome der 1990 er Jahre irritierte Nachfragen aufkommen ließen, ob die liberale und demokratische Basis der deutschen Gesellschaft auch in Krisenzeiten fest genug sei, um fremdenfeindliche Strömungen dauerhaft abzuwehren. Dennoch scheinen die größten Herausforderungen eher aus den internationalen Konstellationen zu entstehen, in die Deutschland eingebunden ist.“ Er nennt dabei den Finanzkapitalismus, der regelrecht selbstzerstörende Elemente in sich trage, den Nord-Süd-Konflikt, die Widersprüche eines ungleichen Europas und die daraus entstehende gefährliche Dominanz Deutschlands.
Er bilanziert am Ende: „Wer nach diesem Jahrhundert für Deutschland bilanziert, das Ausmaß von Glück und Unglück sei zu allen Zeiten gleich, verkennt diese (von ihm Buch ausführlich und positiv beschriebene) Entwicklung nach 1945 und 1990 und auch die Erfahrungen der Menschen, die in diesem Land lebten und leben. Aber es ist auch nicht auszuschließen, das am Ende die aus dieser glücklichen Entwicklung erwachsenden Gefahren nicht geringer sind als die überwundenen.“
Politisch und historisch bewusste Zeitgenossen, die sich hoffentlich an dieses Buch oder auch Teile davon heranwagen, können mit ihrem Handeln und Reden, wo immer sie ach stehen in der Öffentlichkeit, innergesellschaftliche Entwicklungen mit beeinflussen, und dazu beitragen, dass das Erreichte bewahrt und weiterentwickelt wird.
Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, C.H. Beck 2014, ISBN 978-3-406-66051-1
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-05-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.