Schon in ihrem letzten Roman „Ein Garten am Meer“ hatte sich die in Paris lebende und arbeitenden deutsche Schriftstellerin und Filmemacherin Bertina Henrichs als eine sensible Schöpferin einer zarten Liebesgeschichte gezeigt. Sie hatte damals eine eindrucksvolle Studie eines dörflichen Milieus verfasst, fesselnd geschrieben und sehr unterhaltsam zu lesen. Eine kleine, poetische Geschichte der Hoffnung auf Zukunft war das, nicht nur für die beiden Protagonisten, die den schönsten Teil ihres Lebens hinter sich wähnten, sondern für ein ganzes Dorf und seine Kultur.
In ihrem neuen Roman entführt Bertina Henrichs ihre Leser wieder an einen der schönsten Flecken in Frankreich, in das provencalische Städtchen Sanary-sur-Mer, in dem während der Herrschaft der Nazis viele deutsche Künstler und Intellektuelle wohnten. Geschickt verwebt sie die Geschichte der Selbstfindung einer Frau mit der Geschichte dieses Emigranten.
Delphine ist Innenarchitektin und lebt zusammen mir Cyril, einem Literaturprofessor an der Universität Paris 7. Er ist ihr Traummann und sie ist sehr glücklich. In ihrem Beruf als Innenarchitektin läuft es augenblicklich nicht so gut, und notgedrungen nimmt die sie Euroschiene, die Cyril mehrmals in der Woche in einer Schublade für sie versteckt. Doch nach etlichen Jahren glaubt sie, ihn überzeugt zu haben, dass auch er sich ein gemeinsames Kind wünscht.
Da bekommt sie eines Tages den Brief eines Anwaltes aus Südfrankreich. Sie habe von einer entfernte Verwandten ein Haus in Sanary geerbt. Es stellt sich heraus, dass es ein sehr ungewöhnliches, wertvolles Haus ist und dass auch eine Menge Barvermögen dabei ist. Auch weil davon die Erbschaftssteuer bezahlt werden könnte, drängelt Delphine ihren Cyril so langem bis der auf ihren Vorschlag eingeht, und einem Umzug nach Sanary zustimmt. Von dort fährt er mit dem TGV nach Paris, um dort seinen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen.
Doch beide sind nicht glücklich. Während Delphine sich mit der Person und der Geschichte ihrer Erbtante auseinandersetzt, die sich ihr schrittweise aufschlüsselt, je mehr sie in den durchaus schwierigen Kontakt mit Einheimischen tritt, spürt Cyril schon bald, dass er nicht nur mit dem Haus, sondern auch mit der Wahl der damit zusammenhängenden Lebensweise einen Fehler gemacht hat.
Als er sich bald von Delphine trennt sieht diese sich zum ersten Mal in ihrem Leben ganz auf sich allein gestellt. Da ist Cesar Chereau, dem sie bei ihren regelmäßigen Besuchen in dessen Buchhandlung näher kommt und der ihr viel über die deutschen Künstler im Exil erzählt. Doch als er spürt, dass Delphine auch mit dem Tierarzt Antoine ausgeht, der ihr nach der Operation ihrer Katze den Hof macht, zieht Cesar sich zur Überraschung von Delphine zurück.
Tage der Trauer und des Rückzugs folgen, doch irgendwann gibt sie sich einen Ruck und nimmt ihr Leben in die eigene Hand. Delphine erfährt dabei die freundliche Unterstützung einer Nachbarin, die sie lange übersehen hatte. Erste Aufträge als Innenarchitektin führt sie zur Zufriedenheit ihrer Kunden aus und spürt, dass sie auch ohne das Geld von Cyril existieren kann Mehr und mehr Einzelheiten der Lebensgeschichte ihrer Erbtante kommen ans Tageslicht, und irgendwann wird auch klar, warum, Cesar sich zurückzog.
In einer berührenden, niemals kitschigen Weise beschreibt Bertina Henrichs eine Frau, die sich zur Selbständigkeit befreit und dennoch an ihrem Traum von einem liebevollen Mann, einem gemeinsamem Kind und einer Familie fest hält.
Bertina Henrichs, Das Glück der blauen Stunde, Hoffmann und Campe 2013, ISBN 978-3-455-40376-3
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-08-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.