Auch mit seinem mittlerweile siebten Kriminalroman um den nun fast auf die sechzig zugehenden Kriminalkommissar Proteo Laurenti zeigt der früher im Verlagswesen (Berlin Verlag) tätige Veit Heinichen, dass ihm seine neue Identität als Kriminalschriftsteller und als Chronist und Kulturhistoriker seiner neuen Heimat Triest gut bekommt.
Schon in seinen anderen, zum Teil für das deutsche Fernsehen verfilmten Büchern der Reihe, hat er immer wieder sorgfältig, fast wie ein Psychoanalytiker, die Geschichte und die Gegenwart der Hafenstadt Triest und seiner angrenzenden Gebiete beschrieben und sie genutzt für die Erfindung faszinierender Kriminalgeschichten, die deshalb so spannend und gut zu lesen sind, weil sie der Realität der Gesellschaft von Italien im Allgemeinen und den Provinzen um Triest im Besonderen entsprungen sind. Man hat niemals den Eindruck, irgendetwas an Heinichens Büchern sei übertrieben, dem Krimiplot geschuldet, sondern auf fast jeder Seite springt einem die italienische Realität aus Korruption, Seilschaften und finanziellen Machenschaften entgegen. Über das Phänomen, dass viele Italiener, besonders die im Norden, einem Mann wie Berlusconi, dem der Geruch von Skandal und Kriminalität anhaftet, immer wieder ihre Stimme geben, dass er etwas abbildet und lebt vom Traum vieler vor allem männlicher Italiener, davon ist auch in diesem neuen Kriminalroman von Veit Heinrichen die Rede.
Aber auch über Kaffee erfährt der Leser viel Neues, von dem es Sorten gibt, die fast so teuer sind wie Gold, und für den der Hafen von Triest einer der bedeutendsten Umschlagsorte der Welt ist. Über die großen Kaffeeröster und ihre Geschäfte und über einen Fall von Erpressung einer ausländischen Politikerin.
Als Proteo Laurenti der Fund einer Wasserleiche gemeldet wird, ahnt er noch nicht, dass das schwergewichtige Opfer deutscher Nationalität später eine zentrale Bedeutung bei der Aufklärung eines Falles spielen wird, bei dem die Wasserleiche nicht der einzige Tote bleibt. Er weiß auch noch nichts von der englischen Parlamentsabgeordneten, die von einem Mann aus Triest mit intimen Bildern erpresst wird und von deren Freundin Miriam, einer aus Äthiopien stammenden Journalistin, die nach Italien reist, um den Fall aufzuklären und dabei in eine große Gefahr gerät. Denn die Männer hinter den Kulissen sind mächtig und wollen sich durch diese Erpressungsgeschichte nicht ihre Geschäfte verderben lassen.
Veit Heinichen gibt die Erfindung der Journalistin Miriam mit ihrer äthiopischen Familiengeschichte auch in diesem Buch wieder die Gelegenheit, sehr kritisch eines der dunkelsten Kapitel italienischer Kolonialgeschichte zu beschreiben, einer Zeit, die in der Geschichtsschreibung Italiens und in seiner aktuellen Politik massiv verdrängt wird. Ähnlich wie seine Geschichte mit Libyen, die nun angesichts der dramatischen Entwicklungen in Nordafrika langsam zum Vorschein kommt.
Natürlich hat Proteo Laurenti auch wieder eine Freundin, dieses Mal ist es die junge Tochter seines ehemaligen Arztes. Obwohl er seine Frau liebt, braucht Laurenti offenbar doch immer wieder sexuelle Affären neben seiner Ehe, eine Tatsache, die Heinichen als gegeben nimmt und gar nicht groß problematisiert. Zu einem echten italienischen Mann scheint das einfach dazu zu gehören, oder?
Der Roman ist spannend geschrieben, voller historischer Hintergrundinformationen und aktuell-politischen und gesellschaftlichen Anspielungen. Ein richtiger Lesegenuss.
Veit Heinichen, Keine Frage des Geschmacks, DTV 2013,ISBN 978-3-423-21422-3
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-03-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.