Heinrich Heine, der deutsche Jude und Demokrat, den es früh ins Pariser Exil trieb, war es eine Herzensangelegenheit zwischen den Franzosen und Deutschen zu vermitteln. Mit den Französischen Zuständen hatte er den Deutschen erklärt, was im Nachbarland Frankreich vor sich ging und mit der Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland machte er im Jahre 1852 das gleiche für die Franzosen. Ihm war bewusst, dass die Sozialisation der beiden Völker in Bezug auf ihre Nationenbildung unterschiedlicher nicht hätten sein können. Was als eine in Fortsetzungen geplante Serie zum Verständnis der deutschen Denk- und Handlungsweise vorgesehen war, geriet zu einem Buch, das bis zum heutigen Tage nicht an Logik, Schlagkraft und Sprachgewalt zu überbieten ist. Es eignet sich auch in unseren Tagen exzellent dazu, den geistesgeschichtlichen und historischen Kontext von Religion und Philosophiebildung zu erklären und die Besonderheiten vor allem der Reformation und der Herausbildung der klassischen deutschen Philosophie zu begreifen.
In seiner eigenen, unübertroffenen Weise beginnt Heine mit der Darstellung der deutschen Mythen und Sagen aus der vorchristlichen Zeit, um dem französischen Leser eine erste Vorstellung davon zu vermitteln, mit welcher Grausamkeit und Vehemenz die Vorstellungswelt des Nachbarvolkes ausgestattet ist. Heine geht über zur Christianisierung und weiter zur Reformation, die aus seiner Sicht die Genese des deutschen Genres der Philosophie wurde. Aufbauend auf den leistungsethischen und selbstverantwortlichen Ideen des Protestantismus skizziert er die ersten Systeme der klassischen deutschen Philosophie, deren Aporien er auf den Punkt bringt: Die Deutschen haben einen Hang dazu, mit universalistischen Systemen ihre Philosophien zu konstituieren, die alle Fragen existenzieller Relevanz zu beantworten zu haben. Daraus leitet sich die fast jeder Schule innewohnende zwanghafte Universalität ab. Bei seinen Schilderungen geht es nicht ohne Augenzwinkern zu. So, wenn er anhand von Kants Hausdiener Lampe erklärt, warum der große Gedankenchirurg nach der systematischen Zerlegung Gottes in der Kritik der reinen Vernunft doch noch einmal zur Feder Griff, um die Möglichkeit der individuellen Gotteszuflucht in der Kritik der praktischen Vernunft zuzulassen, weil er das betrübte Gesicht Lampes nicht mehr ertragen konnte, der plötzlich auf seinen Gott verzichten sollte.
Die Dialektik Hegels repliziert Heine mit einer Virtuosität, die das Herz stillstehen lässt und er plaudert das Schulgeheimnis der Hegelschen Dialektik aus wie einer, der es eben wissen musste, weil er dabei war. Denn alles, was ist, ist vernünftig, aber eben auch: alles, was vernünftig ist, muss sein!
Heine schließt diese immer wieder lesenswerte Schrift mit nahezu prophetischer Prognostik. Ausgehend von der Vorstellung, dass das Wort der Tat vorausgeht wie der Blitz dem Donner macht er den Franzosen klar, dass die Deutsche Philosophie als Basis des Handelns alles in den Schatten stellen wird, was sich die Franzosen werden vorstellen können. Und er rät ihnen, ganz Heine, als Kenner der Klassik das Bild im Auge zu haben, das die Götter nackt bei Nektar und Ambrosia zeigt, mit Ausnahme einer Göttin, die Panzer, Schild und Speer trage, es sei die Göttin der Weisheit.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2010-07-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.