Was ist diskutiert worden über kleinere Klassen und über offenen Unterricht. Viel Geld und Herzblut und auch politisches und pädagogisches Engagement sind geflossen in unzählige Projekte. Der Unterricht in unseren Schulen heute sieht vollkommen anders aus als noch vor etwa zwei Jahrzehnten. Und doch hat man das Gefühl, als habe sich nicht viel Wesentliches geändert.
Der schon seit einiger Zeit unter den Fachleuten unter der Hand gehandelte australische Bildungsforscher John Hattie hält dies alles für Humbug. Entscheidend für guten Unterricht, der auch die bildungsfernen Kinder erfolgreich erreicht, sei, so Hattie, der Lehrer und die Lehrerin. In seinem nun endlich auch auf Deutsch erschienenen Buch „Lernen sichtbar machen“ (im Original ‚visible learning’, was man eher übersetzen könnte mit ‚sichtbare Lernprozesse’) hat er versucht, die wichtigste Frage der Bildungsforschung unfassend zu beantworten. Er hat dafür sämtliche englischsprachigen Studien weltweit in einer großen Synthese der empirischen Unterrichtsforschung zusammengeführt. Aus diesen 800 Metaanalysen hat er eine Datenbasis erstellt, in die mehr als 50 000 Einzeluntersuchungen mit mehr als 250 Millionen beteiligten Schülern eingeflossen sind.
Fast 15 Jahre hat er für diese Arbeit gebraucht und seine Ergebnisse werden besonders unter Lehrern und ihren Verbänden kontrovers diskutiert werden. Hattie sagt: „Wir diskutieren leidenschaftlich über die äußeren Strukturen von Schule und Unterricht. Sie rangieren aber ganz unten in der Tabelle und sind, was das Lernen angeht, unwichtig.“ Ihm geht es um messbare Evidenz. Und alle seine Daten zeigen klar, dass sich die Unterschiede im Lernzuwachs nicht zwischen Schulen zeigen, sondern zwischen einzelnen Klassen, also zwischen einzelnen Lehrern. Was Schüler lernen, überall auf der Welt, bestimmt die einzelne Lehrperson.
Gegen alle Versuche der Politik, gegen alle Einwände der Lehrerschaft selbst: auf den guten Lehrer kommt es an und nicht auf besonders ausgefeilte Methodendebatten. Hattie ist dieser Methodenstreit zuwider. Jeder Lehrer sollte ein breit gefächertes Repertoire haben an verschiedenen Stilen und Methoden, die er je nach Klasse einsetzt und „evidenzbasiert“ auswertet und auch mal verwirft.
Die Debatte um diese Forschungsergebnisse wird bald beginnen, denn ihre Folgerungen werden vielen nicht gefallen. Die Nichtrelevanz des offenen Unterrichts kränkt die Reformpädagogen, die des Sitzenbleibens die Traditionalisten. Wichtig für die Lehrerverbände und die Ausbildung: wenn es auf gute Lehrer ankommt, muss es auch schlechte geben, die besser werden oder ihren Beruf ändern müssen.
Bei aller nötigen Kritik im Einzelnen (so sind etwa die von Hattie vernachlässigten Hausaufgaben manchmal sinnvoll): er hat nachgewiesen, dass der Lehrer/die Lehrerin wieder in den Mittelpunkt allen Redens und Entscheidens über die Schule gehört. Der Lehrer ist hauptverantwortlich dafür, was Schüler lernen. Ob die Schule besser wird, liegt an ihm.
Wer nun anfängt zu jammern über diese große Verantwortung, dem sei gesagt, dass sie seit Urzeiten zum Lehrberuf dazu gehört. In dieser Verantwortung liegt die Essenz, und nicht in der Verbeamtung. So oder so: die Forschungen Hatties haben dem Lehrer seine Würde wieder gegeben.
Nun legt der Schneider Verlag eine von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer besorgte überarbeitete Ausgabe des Buches vor, die sich vor allem an Lehrpersonen richtet, an Lehrerinnen und Lehrer, aber auch an Schulleiterinnen und Schulleiter. Glänzte die erste Ausgabe vor allem durch die überzeugenden Zahlen der Forschungsergebnisse, geht der neue Band einen entscheidenden Schritt weiter und versucht die Forschungsergebnisse so aufzubereiten, dass sie im Unterricht sofort und problemlos produktiv umgesetzt werden können.
Dabei stehen der lernende Schüler und seine Lernprozesse im Mittelpunkt und den Lehrern und Lehrpersonen wird gezeugt, wie sie die Wirkungen ihres Unterrichtes systematisch und konsequent überprüfen und kontrollieren können.
Eine Fülle von sehr nützlichen Checklisten und Folien erleichtern die Arbeit. Was mir nun nötig scheint, dass möglichst viele motivierte Lehrpersonen damit zu arbeiten beginnen. Ich rege an, dass der Verlag dies beobachtet und vielleicht in einem Jahr ein kleines Buch herausgibt mit Erfahrungsberichten von Lehrern und Schulleitern. Ein solches Buch mit Berichten aus der Praxis würde sicher, entsprechend aufbereitet und kommentiert, dem ganzen Hattie`schen Ansatz noch einmal einen neuen Schub verleihen. Verdient hat er es allemal und unsere Kinder erst recht.
John Hattie, Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen, Schneider Verlag 2014, ISBN 978-3-8340-1300-2
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-02-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.