Eveline Hasler sei die „Virtuosin des dokumentarischen Romans“, hat der Schweizer Kritiker Roger Anderegg geschrieben. Auch für ihren neuen Roman trifft das haargenau zu. Darin erzählt sie die Geschichte des Amerikaners Varian Fry, der im August des Jahres 1940 im Auftrag des amerikanischen Emergency Rescue Committees in Marseille eintrifft. Seine Aufgabe ist kompliziert und gefährlich zugleich. Denn die Nazis haben zu diesem Zeitpunkt schon fast ganz Frankreich besetzt und das mit ihnen kollaborierende Vichy-Regime hat sich verpflichtet, alle Nazigegner, deren es habhaft werden kann, an die deutschen Behörden und die Gestapo auszuliefern. Sie also in den sicheren Tod zu schicken.
Er führt eine Liste mit sich von etwa 200 Künstlern und Intellektuellen, denen er über Marseille die Ausreise und Flucht in die USA ermöglichen soll. Darunter Namen wie Heinrich und Golo Mann, Max Ernst, Walter Mehring, Lion Feuchtwanger und Hannah Arendt. Auch die beiden Politiker Rudolf Hilferding und Rudolf Breitscheid will er retten, doch die leisten lange Widerstand, weil sie der Illusion aufsitzen, sie könnten bald zurück.
Mit feinem Gespür für die Not der Verfolgten schildert Eveline Hasler mit großer Eindringlichkeit deren Schicksal und liefert von so manchem damals jedenfalls sehr bekannten Künstler oder Intellektuellen fein- und hintersinnige Porträts. Schon bald hat sich in den Kreisen der Exilanten herumgesprochen, dass man über Fry einen Schein bekommen kann, und so sind es bald viel mehr als die ursprünglich 200 Menschen, denen er das Leben rettet.
Am Ende seiner schon bald auch durch zunehmende Schwierigkeiten, die ihm seine Auftraggeber bereiten, geprägten Zeit in Südfrankreich wird er zusammen mit seinen Mitarbeitern über 2000 Menschen vor den Fängen der Nazis gerettet haben. Hasler erzählt auch die berührende Geschichte von zwei Schweizer Rotkreuzschwestern aus dem Umfeld von Fry, die gegen den Willen ihrer Regierung in Bern durch ihren Mut und ihre Eigeninitiative zwei Dutzend Kinder in Sicherheit bringen. Und sie setzt nicht nur dem lange vergessenen Fry und seinen Helfern ein literarisches Denkmal, sondern auch jener Bernerin Elsbeth Kasser, die im Lager Gurs durch ihre Arbeit eine Oase der Hoffnung und der Menschlichkeit schaffte.
„Mit dem letzten Schiff“ ist nicht nur ein dokumentarischer Roman, der vom schwierigen Leben und Arbeiten der deutschen Exilanten in Südfrankreich erzählt, sondern auch davon, wie ein einfacher Mensch einen zunächst begrenzten Auftrag unter Einsatz seines eigenen Lebens ausweitet.
1996, dreißig Jahre nach seinem Tod wurde Varian Fry als damals einziger Amerikaner in Yad Vashem in die Liste der „Gerechten unter den Volkern“ aufgenommen.
Eveline Hasler, Mit dem letzten Schiff. Der gefährliche Auftrag von Varian Fry, Nagel & Kimche 2013, ISBN 978-3-312-00553-6
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-11-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.