„Und was war Er wirklich?“, frägt man die Seele des seligen Jaroslav in seiner Kurzgeschichte „Wie ich gestorben bin. Das arme Seelchen Jaroslav Hašek erzählt.“ am Himmelstor und seine Antwort lautet ganz bescheiden: „Mit Verlaub, ich war ein Säufer mit dicklichen Ärmchen“. Der Autor des unsterblichen Švejk und Verfasser unzähliger Kurzgeschichten, Satiren, Humoresken und Artikeln unter Pseudonym in tschechischen Zeitungen, zeigt in dieser von Antonín Brousek herausgegebenen Neuübersetzung sein eigentliches Können, nämlich das der Wirtshausanekdote in Reinform, denn den Leser erwartet ein wirkliches „Happening avant la lettre“ des Meisters des absurden Humors, der das Genre „short story“ miterfunden zu haben scheint. Außer „Glückliches Heim“ und dem „Humoreskenzyklus“ (sic) „Aus einer alten Droguerie (sic)“ sind die meisten in diesem Band versammelten Geschichten unter zehn Seiten und eignen sich somit hervorragend auch für jene Leser, die Hašek noch nicht kennen. Aber auch Stammleser des „böhmischen Mark Twain“ werden von diesem Erzählband angetan sein, enthält er doch auch die weniger bekannten Geschichten über seine Zeit bei der Roten Armee.
Ein Kommissar, 35 Halbe und 2 Frauen
Der ärztlich festgestellte Alkoholkonsum soll bei Hašek bei 35 halben Litern Bier pro Tag gelegen sein, weiß Brousek in seinem Nachwort zu vorliegender Humoreskensammlung. Und in der Roten Armee soll er sogar Karriere gemacht haben – trotz oder gerade wegen seines Alkoholkonsums. Als hoher Politkommissar der 5. Armee in Sibirien war er für kommunistische Aufklärung und Kulturarbeit zuständig, bei seiner Rückkehr nach Prag galt er allerdings als nationaler Verräter und Bolschewik und wurde sogar der Bigamie angeklagt. In „Kommandant der Stadt Bugulma“ erfährt der Leser einiges über sein wirkliches Schicksal während der Schrecknisse der Russischen Revolution, aber natürlich ist auch diese Zeit in Hašeks Leben mit sehr viel Ironie und Humor beschrieben, etwa wenn er als Kommissar verschiedenste Befehle als Erlässe drucken lässt und Klosterschwestern zum „Gebrauch“ für die Revolutionsarmee abkommandiert werden. Aber weder soll hier diese eine Pointe verraten werden, noch sollen andere Spoiler den Genuss von Hašeks Lektürbe hier verdorben werden, denn wer ihn noch nicht kennt, muss ihn einfach einmal kennen lernen, den Tausendsassa des böhmischen Humors.
Schmerzmittel gegen die Traurigkeit der Welt
Die Geschichte über ein frisch verheiratetes Ehepaar, das seine Reise nach Venedig macht, zeigt ihn in „Eine halbe Stunde auf dem Canal Grande“ auch als großen Satiriker, denn die frisch Vermählte will ihrem Bräutigam vor allem Folterstätten und die Bleikammer zeigen, wohl um ihn auf sein Schicksal in der künftigen Ehe schonend vorzubereiten. „Drei Mann mit Hai“ ist ein eben so guter „Anspieltipp“ wie die titelgebende Geschichte „Die Ausrottung der Praktikanten der Speditionsfirma Kobkán“, in der der Leser sehr schnell begreift, auf wessen Seite dieser Hašek eigentlich steht. Auch in „Konferenz der Delegaten des gemäßigten Fortschritts“ zeigt der Autor sein ganzes Talent: „Und die Ungarn suchen die Wahrheit so lange, bis sie unter den Tisch fallen.“ Aber die einzigen Ungarn die anwesend waren, waren Tschechen, die sich als Ungarn ausgaben. Herrlich auch, wie er in „Das magyarische Meer“ den Nationalstolz auf die Schippe nimmt oder es in „Adele Thoms, eine deutsche Lehrerin aus Haida“ auch den Deutschen gibt: „Sie prügeln ihre Musik den Schwarzen in Afrika ein und bringen den Negerkindern bei, Goethe und Schiller zu deklamieren.“
Einen Hašek wird man wohl in jeder Sprache verstehen, denn die Sprache des Humors ist international. Über seinen Tod mit kaum 40 kann man nur in die Worte seines Oberst Sun-Fu aus seiner Geschichte „Dschen-Si, die allerhöchste Wahrheit“ einstimmen: „Ku, ti-ku, ku-schen, ku-ku-ti-ku.“ Jaroslav Hašek: Ein herrliches Schmerzmittel gegen die ganze Traurigkeit der Welt, fürwahr!
Hašek, Jaroslav: Die Ausrottung der Praktikanten der Speditionsfirma Kobkán
Absurde Geschichten
Übers., Komm. und Nachw.: Brousek, Antonín
Neuübersetzung 424 S. Geb. mit Schutzumschlag.
Format 12 x 19 cm
ISBN: 978¬3¬15¬011045¬4
[*] Diese Rezension schrieb: juergen weber (2015-12-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.