Die Sujets, denen sich der britische Schriftsteller bereits gestellt hat, waren durchaus herausfordernd. Ob es sich um die Sequenzen aus der römischen Geschichte handelte, denen er sich vor allem im letzten Jahrzehnt gewidmet hat, oder den Thriller Fatherland, der in in einem Nachkriegs-Berlin unter Herrschaft der Nazis spielt oder der Agentenstory um die Entschlüsselung des U-Boot Codes Enigma durch die Briten - Harris hatte immer einen Riecher für Handlungen, die sich um das Spiel der Macht drehen und in denen schrille Figuren einen dominanten Part übernehmen.
Mit The Fear Index hat Robert Harris ein Thema aufgenommen, das aktueller und aufregender nicht sein könnte. Er konzentriert sich auf einen Hedge Fund Manager, der aus Genf in der Schweiz operiert und prima vista schon einmal alle Klischees bedient, die sich in der jüngsten Finanzkrise etabliert haben. Jung, reich, ein bißchen asozial und irgendwie ein Fremdkörper in der Gattung Mensch. Das Besondere an dem Hedge Fund und seinem Vorsitzenden ist die Verwissenschaftlichung des Vorgehens. Die Börsenaktivitäten folgen einem Algorithmus, d.h. Formeln, nicht menschliches Urteilsvermögen bestimmen darüber, was ge- und was verkauft wird. Damit greift Harris eine Entwicklung auf, die tatsächlich zu beobachten ist: die Computerisierung des Börsenhandels und die damit verbundene Inkaufnahme politischer Risiken.
Sehr gelungen ist die gedankliche Konstruktion, dass der hier fiktive Algorithmus auf Überlegungen und messbaren Größen zur Angst basiert. Eine menschliche Emotion also, die neben dem Vertrauen als die bi-dominante Größe im Börsengeschäft gilt. Harris eröffnet nahezu alle Kapitel einer exzellent geschriebenen und spannungsgeladenen Story mit einer Sequenz aus Darwins Entstehung der Arten, und daraus wiederum die wissenschaftlichen, emotionslosen Beobachtungen über die fatalen Reaktionsweisen, die aus der Angst entstehen. Das sind die wirklich gelungenen Konstitutionsprinzipien dieses Romans, der sich selbstverständlich fulminant abhebt von allem anderen, was sich phänomenologisch und glorifizierend der Geldmaschine Börse widmet.
Dennoch sind bestimmte Abstriche in der Bewertung zu machen. Zwar ist die Unterstellung, dem jungen Wissenschaftler, der den Algorithmus entwickelt und der im Grunde damit die Börsen in den Amok treibt, ginge es nicht ums Geld, durchaus nachvollziehbar, die emotionalen Pendants, die eine Rolle spielen, kommen jedoch nicht zur Geltung.
Vieles Aberwitzige, was die Weltbörsen zu dem gemacht hat, was sie heute sind, resultiert neben den kalten, vielleicht auch manisch getriebenen Wissenschaftlern, aus der unbeschränkten Gier eines neuen Mittelstandes, der die natürlichen Grenzen der Wertschöpfung außer Kraft gesetzt haben will. Das politisch immer wieder bemühte Gerede über die Zockermentalität der Börsianer kann nur deshalb auf reale Beobachtungen zurückgreifen, weil es einen Kundenstamm gibt, der diese wahnwitzigen Instrumente und Mechanismen erst begünstigt. Indem Robert Harris auf die Beleuchtung dieser Komponente verzichtet, verpasst er eine Chance, dem Roman eine Entsprechung der Komplexität zu geben, die das Vabanque der Börsenökonomie ausmacht.
Dass Robert Harris ein britischer Schriftsteller ist, den wie die Guten seines Faches die Befähigung auszeichnet, spannend zu schreiben und auch komplizierte Zusammenhänge verständlich zu formulieren, ohne dass die Handlung, die - wenn auch manchmal etwas zu sehr abstrus - meisterhaft aufgebaut ist und Spannung bis zur letzten Seite garantiert, trägt dazu bei, den Fear Index zur Kategorie exzellenter Unterhaltung zurechnen zu können.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2012-01-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.