Gilgamesch und Enkidu sind die beiden Freunde, die die Handlung des Gilgamesch-Epos bestimmen. Wie der Autor und Zeichner erklärt. „Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Hauptfiguren lässt sich ja an einer Reihe von Antagonismen festmachen: So steht Gilgamesch für die Stadt, die Kultur, aber auch für (All-)Macht und Hybris. Enkidu symbolisiert das Land, die Natur, die Wildnis, die Machtlosigkeit eines Vogelfreien, der anstatt auf Wachen und Waffen nur seinen Verstand und seinen körperlichen Fähigkeiten vertrauen kann (...).“ Das Gilgamesch-Epos sei „die Mutter aller Erzählungen“, die älteste verschriftlichte Geschichte der Welt und wer sie lese, wird bald feststellen, dass es auch die Grundlage vieler anderer Geschichten bildete, die uns heute noch unterhalten: die antike Herakles Geschichte und die griechische Mythologie bauen auf dem Gilgamesch-Epos ebenso auf, wie moderne Superhelden-Geschichten. „Gilgamesch ist der herrlichste unter den Mannen. Gilgamesch ist der gewaltigste unter den Helden“, heißt es dort u.a.
Die Ur-Geschicht aus Ur(uk)
Selbst die Heilslehre der Bibel wäre wohl ohne Gilgamesch-Epos nicht denkbar, stammt doch etwa die Sintflut-Erzählung von Arche Noah daraus, aber auch die Jungfräulichkeit der Jungfrau Maria, deren Vorbild die ägyptische Gottheit Isis, ebenso einen Sohn, den Horus, unbefleckt empfing. Aber natürlich auch die Märchensammlung „1000 und eine Nacht“ oder die Ilias und die Odyssee haben Anleihen beim Gilgamesch-Epos genommen. Selbst der „Herr der Ringe“ oder moderne amerikanische Road-Movies könnten da noch hinzugefügt werden, meint jedenfalls Jens Harder. Aber das Epos ist auch die Geschichte einer Freundschaft, die zwischen Gilgamesch und Enkidu. Letzterer,
Enkidu, wurde „über und über bepelzt am ganzen Leib“ aus dem Sand geboren, aber zum Menschen machte ihn eine Hure: „Wisse, in Uruk wohnt Gilgamesch. Ihm bringe die Kunde vom Gewaltmenschen. Er wird ein Schamkat, eine Hure, dir leihen, mag sie bewältigen diesen Mann.“ Später erhält die zunächst verschmähte Hure sogar „Obsidian, Lasurstein und Gold“. Gemeinsam erschlagen Gilgamesch und Enkidu den Himmelsstier der Ischtar, kämpfen gegen Anzu-Vogel oder betreten so manches andere Land und Abenteuer, auch das der Lullubäer. Das Haus Irkallas, das Haus der Finsternis, der Wohung Irkallas, das Haus, das nicht verlassen kann, der’s einmal betreten hat spielt ebenso eine Rolle wie die Sintflut, die im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris wohl eine reale Bedrohung darstellte.
Freundschaft. Das höchste Gut.
Beeindruckend sind auch die Dokumentationen und das Nachwort sowie das Glossar am Ende des Bandes. Jens Harder hat sich bei seinen Illustrationen tatsächlich an Abbildungen von Heldenfiguren aus vorchristlicher Zeit gehalten, wie die „Heldenfigur mit Löwe“ aus dem Thronsaal des Plastes von Khorsabad, die heute im Pariser Louvre in der Orientabteilung steht, eindrucksvoll vor Augen führt. „Warum ist unfroh dein Herz, ist Harm in deinem Gemüte, gleicht einem Wanderer ferner Wege dein Wesen?“, frägt Urschanabi, der Fährmann, Gilgamesch: Gilgamesch hat seinen Freund Enkidu verloren, aber der Verlust ist nicht unwiederbringlich, wie sich später zeigt.