Die Jahre von Pamela Anderson und der brustfixierten TV-Serie „Baywatch” sind wohl endgültig gezählt, wie der italienische „Maxim“ di Milano 2010 textet. Spätestens durch Jennifer Lopez und den Hip Hop als Etablierung einer Lebenskultur sind wieder ganz andere Rundungen des weiblichen Körpers in den Mittelpunkt der Medien und damit auch der Betrachter gekommen. Die internationalen butt connoisseurs werden sich über diese Publikation des Taschen-Verlages besonders dann freuen, wenn sie zuvor schon das Big Breast Book oder das Big Legs Book desselben Verlages konsumiert haben, denn hier kommt nun – ebenfalls auch von derselben Autorin, die auch noch The Big Penis Book zusammengestellt hat - the Big Butt Book und vielleicht sollte dazu gesagt werden, dass es sich um das weibliche Hinterteil handelt, nicht das männliche, um gleich vorneweg Missverständnissen vorzubeugen.
Die Verehrung des Hinterns ist eigentlich gar nichts Neues. Die Kulturgeschichte stellte besonders bei südlichen Kulturen eine diesbezügliche Vorliebe fest. Schon die alten Griechen beteten die Göttin Aphrodite Kallipygos (wörtlich: Aphrodite mit dem schönen Hintern) an, die besonders durch ihre große Rückseite auffiel. Seither nennt die Wissenschaft die butt connoisseurs übrigens „pygophiliac”, aber die meisten werden wohl die einfacheren und direkteren Ausdrücke butt, tush, culo, oder derrière bevorzugen, um dem weiblichen Hinterteil ihre sklavische Bewunderung und ihre unstillbaren Phantasien angedeihen zu lassen: „The men noticed her firm buttocks like she had grape fruits in her hip pockets“, schreibt Zora Neale Hurston in ihrem Buch Their Eyes Were Watching God und leitet damit nicht als erste Autorin den männlichen Blick auf die unteren Regionen des weiblichen Körpers.
Nicht nur das Cover der vorliegenden Publikation wartet mit einigen „Enthüllungen“ auf. Wenn man nämlich die Plastikhülle des Buches mitsamt des abgedruckten „Höschens“ abstreift, sieht man einen weiblichen Hintern in seiner ganzen Plastizität und Nacktheit, inklusive eines intimen Blickes zwischen die Beine des abgebildeten Modells. Aber auch im Inneren der vorliegenden schwergewichtigen Publikation werden dann so manche Geheimnisse „enthüllt“ und Fragen beantwortet, die man sich nicht einmal zu stellen getraut hätte. Gleich in drei Sprachen wird die Kulturgeschichte des Hinterns von Dian Hanson aufgerollt und gibt gleichermaßen wissenschaftliche wie intime Bekenntnisse preis. Eigentlich sei der Hintern ja nur dazu, dass wir das Gleichgewicht beim Laufen nicht verlieren würden, weiß etwa der zitierte Biologe Dennis Bramble. Auch der Künstler Man Ray wusste es, die Vorzüge des derriere in das rechte Licht zu rücken, Dian Hanson vergisst auch hier nicht, künstlerische Vorbilde
r zu zitieren. Wer sich an die Szene von „Un chie andalou“ von Salvador Dali und Louis Bunuel erinnert, in dem die Hände eines Mannes zuerst die Brüste einer Frau streicheln und dann fotomontiert ihr Hintern von denselben lüsternen Händen begrapscht wird, könnte damit mitten in das Kanonenfeuer der „Titten- und Arsch-Aficionados“ (O-Ton Dian Hanson) geraten, die mit Vehemenz die Vorliebe des jeweils anderen in die Steinzeit zurückbugsieren wollen würden. Die glutei maximi (großen Gesäßmuskeln) haben übrigens nur die Menschen entwickelt, außer vielleicht noch dem Callipyge-Schaf (Schönhintern-Schaf) seien nämlich sämtliche andere Vorkommnisse in der Tierwelt nur müde Abklatsche des menschlichen „Arsches“ (O-Ton Dian Hanson), was uns zum Thema „spanking“ hinüberführt.
Dian Hanson versteht es in einer teilweise sehr derben und direkten Sprache auf dennoch kultivierte Weise menschliches Kulturgut aufzubereiten, etwa wenn sie von einem Stamm im Kongo erzählt, dessen Frauen sich Maggi-Würfel (sic!) in den Hintern stecken würden, damit dieser runder werde. Wer sich keine chirurgischen Schönheitsoperationen leisten kann, durchschnittlich 5500.-$ werden in den USA dafür ausgegeben, muss eben zu billigern Mitteln greifen, zumindest wird die Maggi-Geschichte in einem afrikanischen Lied erzählt, aber das muss ja auch nicht alles wahr sein, genauso wenig wie Hansons Internetquellen, oder doch? Pygomanen werden es Hanson jedenfalls danken, dass sie auch gleich allerlei Portale zitiert, die sich mit zierlichen oder weniger zierlichen Objekten der obsessiven männlichen Begierde beschäftigen. Die Ausbeutung der Frauen der Dritten Welt durch europäische Kolonialisten illustriert Hanson mit der Geschichte von Saartjies, die aufgrund ihres kolossalen Hinter
ns nach Europa exportiert wurde und nach sexueller Ausbeutung und ihrem allzu jungen Syphillis-Tod sogar im französischen Musee de l`homme ausgestellt wurde, bis Nelson Mandelas Petition nach achtjähriger Arbeit endlich sein Ziel erreichte. Dian Hanson thematisiert also durchaus auch das Unangenehme, verbindet das Voyeuristische mit dem Aufklärerischen oder das Praktische mit dem Nützlichen, könnte man süffisant hinzufügen.
Den Vergleich zwischen Brüsten und Hintern umschreibt sie mit treffenden Worten: während der Busen eher das Mütterliche, auch Religiöse (Maria!) anspreche, stehe der Hintern eher für etwas „Unwürdiges“, Tierisches, auch für die Sünde bei gleichzeitiger Bestrafung (Versohlen). In jedem Fall zollt sie JLo Tribut, dass diese Anfang der 90er das weiße Schönheitsideal revolutioniert habe: es galten endlich nicht mehr nur diese großbrüstigen Frauen mit schmalen Taillen als schön, sondern endlich wieder dicke Hintern und weibliche Rundungen. Zwischen Hintern und Brüsten, könnte man auch einen Kampf zwischen schwarzer und weißer Dominanz konstatieren, wie viele Musicvideos leicht beweisen ließen. Aber Butt-Fotos gab es auch schon von Betty Page in den Vierzigern, insofern schließen sich Gegensätze wohl doch nicht aus.
The Big Butt Book führt den Leser auf eine Entdeckungsreise des bisher zu Unrecht vernachläßigten Körperteils und illustriert dieses Abenteuer mit einer Vielzahl von farbigen und einigen Retro-S/W-Fotos (insgesamt 400 Fotos von 1900 bis heute), sowie interessanten Artikeln über das weibliche Gesäß, etwa vom Bewunderer Number 1 Robert Crumb, dem abgefahrenen amerikanischen Comicartist oder Werken von Elmer Batters, Ellen von Unwerth, Jean-Paul Goude, Ralph Gibson, Richard Kern, Jan Saudek, Ed Fox, Terry Richardson and Sante D'Orazio. Und natürlich sind auch einige berühmte Hintern zu sehen, etwa der von „Busenwunder” Pam Anderson, oder von Serena Williams, „bootylicious butt queens“ Buffie The Body, Coco und Brazil's Watermelon Woman, plus Eve Howard und ihrer Auspeitschphantasien. Ein Buch für den Mann von Welt eben.
Dian Hanson (Editor)
The Big Butt Book
Multilingual Edition: English, French, German
2010
Taschen
Hardcover, 30 x 30 cm,
372 pages
ISBN: 978-3-8365-1115-5
€ 39,99
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-06-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.