„Honi soit qui mal y pense“, ein `Schelm´, wer etwas Schlechtes dabei denkt: wer die Plastikschutzhülle des vorliegenden Bildbandes im Megaformat (30x30) leicht verrutschen lässt, wird feststellen, dass das „Sticky Fingers“-Album der Rolling Stones, das 1971 von Andy Warhol gestaltet wurde, dagegen als Schwiegermutterwitzchen durchgehen könnte. Auch wenn sich zwischen den roten Buchdeckeln dann eigentlich mehr Bein als Pein befindet, soll natürlich auch die äußerst delikate und ebenso gewagte Verpackung dieses Fotobandes nicht unberücksichtigt gelassen werden.
Auf guten 400 Seiten zeigen sich dem Betrachter wohl großteils US-Amerikanerinnen aus den Sechziger Jahren, beinahe Hüllen- aber nicht scham-los. Man erkannt das teils an den Frisuren, teils an den Verrenkungen, die die armen Frauen vollziehen müssen, um dem Fotografen ein aufsehenerregendes Motiv nach dem anderen zu bieten. Es kommen sowohl alte Schnurtelefone, Autositze, als auch Regenrinnen zum Einsatz, um den weiblichen Körper in verschiedenste (un-)vorteilhafte Positionen zu rücken. Dabei ist durchaus nicht nur das gute Bein im Zentrum der Linse, sondern durchaus auch so manche nackte Brust oder ein glänzender Stiletto-Fetisch. „She`s got legs and she knows how to use them“, steht als Eingangsmotto über den ersten Seiten, dieses knallig-bunten Fotovergnügens aus dem Hause Taschen. Aber es wäre nicht Taschen, wenn es da nicht noch weit mehr zu sehen und zu lesen gäbe.
Das weibliche Bein wurde eigentlich erst durch die Erfindung der Hose sichtbar. Bisher waren die „Legs“, ein Wort das unter Queen Victoria noch als anstößig galt, unter weiten Röcken versteckt, doch die ersten „Bloomers“ (Hosen für Frauen) ließen erstmals erahnen, welch` düster Geheimnis sich wohl unter den Kleidern versteckt hatte. Sogenannte „Leg Shows“ eroberten die Vereinigten Staaten Ende des 19. Jahrhunderts im Sturm, Frauen in Hosen gekleidet, gehörten zum „letzten Schrei aus Europa“. Ein simples Transportmittel sollte schließlich den Durchbruch bringen: das Fahrrad. Die von Suffragetten als „Freiheitsmaschinen“ titulierten Drahtesel erfüllten bald die Funktion von unfreiwilligen Aufklärern. Der „Muldensattel“, der jedwede Berührung mit der Klitoris ausschloss, sollte das ohnehin schon genug Anstößige abfedern, aber als sich die Frauen dann auch noch Radlerkostüme anlegten, war es bald vorbei mit der strengen Sittsamkeit des 19. Jahrhunderts. „Das Fahrrad hat mehr zur Emanzipation der Frau beigetragen als irgendetwas anderes“, sagt die Frauenrechtlerin Susan B. Anthony und vergaß dabei wohlweislich völlig auf das Pferd.
Ein Exkurs auf die Beinform und vor allem die Beinlänge, die maßgeblich die Ästhetik des weiblichen Beines bestimme, wird von der Autorin mit einer gewissen sado-masochistischen Genauigkeit beschrieben. In China gehörten Beinverlängerungen heutzutage genauso zum Alltag wie Brustvergrößerungen in den USA. Die Prozedur bringe eine Verlängerung von 9-12,5 cm, koste 15.000 -25.000 Dollar und ziehe mindestens ein Jahr Physiotherapie nach sich. Aufgekommen sei die Mode der langen Beine im Amerika der 30er, als erstes Modell und Vorbild galt dabei Betty Grable, Amerikas Pin-up Nr. 1. Bald gerieten sich Busenfetischisten wie Hugh Hefner (Playboy) und „Leg“-Aficionados wie John Willie in die Haare: ihr Geschäft, der Verkauf des weiblichen Körpers, war zwar dasselbe, doch sie propagierten – laut Autorin – ein unterschiedliches Frauenbild, das eine konservativ-bieder, das andere anarchisch-rebellisch. Letzteren sei spätestens durch Elmer Batters „Man`s Favorite Pastime“ Ende der 60er zum Siegeszug verholfen worden: bad girls do it better and have longer legs. Man darf dabei übrigens gerne auch an Dustin Hoffman in „Reifeprüfung“ denken, wenn Mrs Robinson sich ihre Nylonstrümpfe über ihre Beine zieht, fällt so manchem Betrachter sein Herz wohl in die Hose. Wie die Autorin in vollem Ernst schreibt, seien Männer, die Leg-Magazine „läsen“ anders als andere Männer: „Sie sind im allgemeinen gebildeter und erfolgreicher. (…) Sie sind auch obsessiv und neigen zur Selbstbetrachtung.“ Männer, die auf Bein stehen, würden starke Frauen besonders anziehend finden.
In einem Buch über Frauenbeine darf natürlich das Moulin Rouge und der Cancan nicht fehlen und so begibt sich die Autorin auch auf eine Spurensuche in die französischen Nachtclubs des 19./20. Jahrhunderts. Die französischen Zwanziger werden in ihren locker und lässig geschriebenen Essays ebenso gewürdigt wie die amerikanischen 30er und 40er oder das Zeitalter der Bettie Page. Ein weiteres Augenmerk wird auf die Sechziger gelegt, in denen sich die Inhalte um die Fragen „What makes a Sexy Stocking?“ oder „Elmer Batters Leg Man No.1“ oder „The History of High Heels“ drehen. Jeder Beinfetischist oder schlichte Bewunderer des weiblichen Körpers wird mit dieser großformatigen Hochglanzpublikation seine reine Freude haben.
Die Autorin hat übrigens selbst lange Zeit für amerikanische Leg Mags gearbeitet, sie ist also durchaus vom Fach. In den Zuschriften, die sie als Herausgeberin von Männern bekam, stellt sie die Podophilen als besondere Spezies Mann hervor, der besonders den Reiz des Verbotenen liebe. Beine seien stets verhüllt und deswegen für manche Männer umso interessanter. Theorien über verdeckte Homosexualität dieser Männer – da der Fuß einem Penis ähnelt – weist sie zurück. Sie bevorzugt den Begriff „Paraphilie“ gegenüber dem Begriff Perversion, was lediglich bedeute „abseits von oder neben den gewöhnlichen sexuellen Vorlieben“. Vielleicht möge auch der Umstand, dass Füße ihren ganz eigenen Geruch verströmen der Fetischismus so manchen Mannes erklärt werden: „Füße sind mit den gleichen apokrinen Schweißdrüsen wie die Haut und die Genitalien ausgestattet“, schreibt sie und diese Drüsen produzierten eben Pheromone, die mit sexueller Anziehungskraft verbunden werden. Immerhin würden „Partialisten“ wie Fußfetischisten heute auch genannt werden nicht mehr neben Masochisten und Koprolagnisten (Kotfetischisten) gestellt werden. Heute kann sich der kultivierte Fußfetischist also durchaus entspannt zurücklehnen - mitunter sogar mit den Beinen auf dem Schreibtisch – und sich in durchaus guter Gesellschaft wähnen: Charles Baudelaire, Giacomo Casanova, Fjodor M. Dostojewski, F. Scott Fitzgerald, J.W. v. Goethe, Thomas Hardy oder George du Maurier…laut Dian Hanson allesamt Fußfetischisten!
Dian Hanson
The Big Book of Legs
dreisprachig
(deutsch-englisch-französisch)