Die Truman-Administration habe nach einer Phase der „Schaukelpolitik“ (sic!) ab 1947 „eine klare Konfrontationsstrategie aus dem subjektiven Bewusstsein der Bedrohung“ entwickelt, schreibt Oliver Rathkolb, Professor am Institut für Geschichte der Universität Wien, in seinem „Leitartikel“ zu vorliegender Publikation „Kalter Krieg in Österreich“. Besonders die Sowjet hätte Angst vor einem katholischen Block in Mitteleuropa gehabt, der sich aus den ehemaligen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie neu zusammensetzen hätte können. Denn die Idee der Restauration war auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch nicht ganz gestorben, wie der Versuch der Gründung einer „Donauföderation“, eines Donaustaates oder eines neuen Wirtschaftsblocks mit Süddeutschland zeigte. Die Sowjet wollte einen cordon sanitaire aus Satellitenstaaten um sich bilden, klare Pläne für Österreich gab es aber noch keine. Die SU war einer der Siegerstaaten, der am meisten unter der deutschen Okkupation gelitten hatte und wollte sich nun am „Deutschen Eigentum“ ebenso schadlos halten. Eine wirtschaftliche Schwächung Österreichs, um dadurch eine „Sowjetisierung“ herbeizuführen, sei aber nicht Teil ihrer außenpolitischen Zielsetzungen gewesen, schreibt Rathkolb.
Als Schauplatz des Kalten Krieges wurde Österreich aber vor allem deswegen so interessant, weil es an der Peripherie beider Blöcke lag und sich so Spione beider Supermächte wie Fische im Wasser tummelten. Auch der Propagandakrieg mittels moderner Informationstechnologien wurde stets vom Rande der Systeme geführt, Österreich wurde so zum Faustpfand im Streit zwischen den beiden Supermächten: „To offset the impression that Austria is merely a pawn in the United States quarrel with Russia“, war das positivste Propagandaziel der USA in Österreich. Propaganda insgesamt sei aber nur ein untergeordnetes Mittel zum Zweck gewesen – ohne dabei moralischen Kriterien wie Gut und Böse gerecht zu werden, betont Rathkolb, gegen den Gegner sollte vor allem destruktive Propaganda eingesetzt werden, dabei nahm man es mit der Wahrheit wohl nicht so genau. 1955 wurde Österreich zu einem souveränen Staat, dessen Neutralität vor allem ein Ergebnis der bipolaren Logik des Zweiten Weltkriegs war, vor allem aber auch ein Glück für die Österreicher.
Monica Rüthers bezeichnet die Propagandaschlachten des Kalten Krieges in ihrem Beitrag zum vorliegenden Sammelband über den Kalten Krieg in Österreich als „Kampf der Lebensstile“, in dem sich der sog. „ American way of life“ und die eher magere sowjetische Konsumgeschichte gegenüber gestanden seien. Sicherlich sei die amerikanische Massenkultur eine der außenpolitischen Trümpfe in den Händen der USA gewesen, denn die GIs wurden quasi als Weihnachtsmänner gerne überall willkommen geheißen, brachten sie doch kostbare Geschenke wie Zigaretten und Nylonstrümpfe und vor allem auch technischen Fortschritt in das ausgemergelte Nachkriegseuropa. Die Sowjet hatte Gleichwertiges erst sehr viel später in dem Himmelsstürmer, dem „roten Kolumbus“, Jurij Gagarin, und der „Venus vom Sternenstädtchen, der „Möwe“ Valentina Treskova, der ersten Kosmonautin, anzubieten. Dieser Sieg im Weltall konnte konsumpolitisch aber wohl nicht so richtig ausgeschlachtet werden, sondern war eher ideeller Natur. Gerade die Versorgung mit Konsumgütern erleichterte aber den Siegeszug des amerikanischen Modells, bot er neben dem Gebrauchsnutzen seiner Güter doch auch einen Zusatznutzen an. Dieser symbolische, emotionale Faktor sollte nicht unterbewertet werden, da doch gerade die „Qual der Wahl“ einem Individuum seine Individualität und Einzigartigkeit vermittelt. Die Sowjet hatte außer dem „edlen Pathos des asketischen Revolutionärs“ eigentlich nur Konsumverzicht anzubieten und das war wohl gerade nach einer Periode so großen Mangels wie dem Zweiten Weltkrieg für große Teile der Bevölkerung völlig unattraktiv. „Die gezielte amerikanische Kulturdiplomatie seit 1938 und Programme wie die US-Kulturmission zwischen 1945 und 1955 in Österreich waren wichtige Grundsteine für den Wirkungsradius der amerikanischen Massenkultur in Europa.“, zitiert Rüthers Reinhold Wagnleitner, einen österreichischen Historiker, der mit dem Schlagwort „Coca-Colonisation“ schon Anfang der 90er Jahre, am Ende des Kalten Krieges, die Außenpolitik der USA schlüssig in zwei Worten zusammengefasst hatte. Rüthers bringt in ihrem Artikel weitere interessante Beispiele der Konsumkultur der beiden Supermächte und ihrer Begegnungsplätze und Rezeption in Österreich, was sich wirklich spannend liest.
Weitere Schwerpunkte dieser Ausgabe der Reihe Profile des Paul Zsolnay Verlages befassen sich mit der österreichischen Literatur während des Kalten Krieges, dem Herzen der Finsternis in Graham Greenes Roman „Der Dritte Mann“ und seiner Verfilmung durch den Briten Carol Reed, deren Handlung in der „glamourösesten aller Verliererstädte des Zweiten Weltkriegs“, Wien, spielte (Eva Horn) oder mit dem Genre Thriller, das nirgendwo anders besseren Keimboden fand, als in dieser Stadt zwischen den Blöcken (Günter Stocker). Das Schweigen der Literatur zum Nationalsozialismus wirde von Evelyne Polt-Heinzl als Mythos entlarvt und sie bringt gleich einige Beispiele für den „nonchalanten Umgang mit dem NS-Erbe“ und wie man es hätte besser machen können. Die Frage der Avantgarde stellt Roland Innerhofer in seinem Beitrag, der sich u.a. auch mit der Abspaltung des PEN und der GAV auseinandersetzt. Lesenswert ist auch Michael Rohrwassers „In Sibirien verstehen wir Kafka besser“, das den Hintergründen der Konferenz auf Schloss Liblice (27./28.Mai 1963) und seinen Auswirkungen auf den Kalten Krieg nachgeht: „Kdopak by se Kafky bal? Wer hat Angst vor Kafka?“, hieß die berechtigte Frage der damaligen Machthaber in Ost und West. Viele weitere Beiträge werden durch Dokumentationsmaterial wie Fotos oder abgedruckte Faksimile ergänzt und bieten ein reiches Anschauungsmaterial zu den Konflikten und Auseinandersetzungen in Österreich während der Zeit des Kalten Krieges.
Michael Hansel/Michael Rohrwasser (Hg.)
Kalter Krieg in Österreich
Literatur – Kunst - Kultur
Reihe Profile des Paul Zsolnay Verlages
2011
[*] Diese Rezension schrieb: juergen.r.weber@gmail.com (2011-03-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.