Zitat:
Eine gewaltige, eine schmerzhaft-sanfte Stille breitete sich in mir und um mich herum aus, und diese begleitete mich auch, als ich dann - es war wohl im Juli 1962? - nachts mit dem Fahrrad zu meiner Unterkunft am Stadtrand fuhr, eine Stille, welche sich ausdehnte über die ganze Stadt.
Charakteristisch für ein Handke-Buch, dass dieses Datum (angeblich) nie verifiziert wurde. Es handelt sich um den Abend, an dem der Autor, durch eine Scheibe hindurch, im Fernsehen das Gesicht von William Faulkner auftauchen sah und in derselben Sekunde schon wusste, dass dieser gestorben war. (Juli 1962 trifft sehr wohl zu. Ich glaube nicht, dass Handke ein ganz falsches Jahr hätte abdrucken lassen.)Eine gewaltige, eine schmerzhaft-sanfte Stille breitete sich in mir und um mich herum aus, und diese begleitete mich auch, als ich dann - es war wohl im Juli 1962? - nachts mit dem Fahrrad zu meiner Unterkunft am Stadtrand fuhr, eine Stille, welche sich ausdehnte über die ganze Stadt.
Zitat:
Und dann in solchem Gehen das Innehalten und Dastehen im Mittelpunkt des Erdkreises. Nichts als die weißen Kügelchen der Schneebeeren. Darunter die klitzekleinen Ellipsen des Hasenkotes. Spärlich ein Blühen: das der silbrigen Waldrebenbäusche, an den Waldrändern eine spiralig verschlungene, wie arabische Schrift imaginierend.
Es mag manch sonstigen sportlich sehnigen Rentner gegeben haben, frei von Arbeit und Geschäft, von Familie und Haushaltsbesorgungen, der, wenn ihm die Decke auf den Kopf fiel, ins Nirgendwo gefahren ist, sich im spottbilligen Gasthof eingemietet hat, bei kaltem Regenwetter einige Tage über die unspektakulären, menschenleeren Äcker gegangen ist. Die Kunst von Peter Handke, seine Mission wohl, besteht darin, aus derartigen (autobiografischen) Nebensachen Augenblicke der Menschheitserlösung zu formen.Und dann in solchem Gehen das Innehalten und Dastehen im Mittelpunkt des Erdkreises. Nichts als die weißen Kügelchen der Schneebeeren. Darunter die klitzekleinen Ellipsen des Hasenkotes. Spärlich ein Blühen: das der silbrigen Waldrebenbäusche, an den Waldrändern eine spiralig verschlungene, wie arabische Schrift imaginierend.
Ein Mann, dessen Haus etwas südlich von Paris steht, fährt ein gutes Stück nordwestlich von Paris in die flache Gegend, um dort, habituell für ihn in der Wintersaison, ein weiteres kleines Buch zu schreiben. Weihnachten wird er dort noch verbringen, Silvester und Neujahr. Von irgendwelchen Menschen aus dieser Szenerie wird nie die Rede sein. Kein Ehepartner, kein Wanderkamerad, keine Kinder, keine Stammtischbrüder, mit denen man sich beim Wein etwas angefreundet hat. Niemand, der Holz sägt am Waldrand, bei dem man ein Gespräch findet. Nein, bei Handke ist das so: Ich, der Empfindende, und dazu dieser einzige Moment in der Welt, das Einssein mit allem.
Andere hätten bisweilen ein schlechtes Gewissen. Könnte man sie nicht als snobistische Luxuseremiten oder Parasiten des von Dritten erarbeiteten Reichtums kritisieren? Peter Handke spürt in sich eine eiserne Selbstgewissheit, die Welt bedürfe seiner unbedingt. Schließlich ist er es und sind es seine Beschreibungen so einer Innigkeit, die der heillos gewordenen Welt noch einmal Sinn zurückgeben. Peter Handke als zigeunernder Moses aus einem der Sequelfilme zum Hit „Die deutsche Romantik“, Kärnten Cowboy meets Schneebeere.
Ende 2011 begann er, die Trilogie seiner „Versuche“ von ursprünglich dem Ende der achtziger Jahre fortzuschreiben mit noch einmal drei Meditationen. Dieses Mal gewinnt man den Eindruck, unser Poet sei etwas unkonzentriert geworden, ein bisschen lustlos in der priesterlichen Erwähltheit vielleicht. Sein Grundeinfall, ausgerechnet die öffentliche Toilette zur Stätte Handke‘scher Sich-selbst-neu-Innewerdung zu deklarieren, lässt ein leichtes Grinsen aufkommen. Das ist fast wie vom Handke-Parodisten! So verschroben und unfreiwillig komisch erlebte man selbst ihn bislang selten.
Hätte er es beim Dorf Marquemont belassen: dann gut. Aber das winterliche Marquemont ist ja nur die Wiederholung „eines Lebens stiller Ort“, Und die Toilette, die öffentliche, sie ist angeblich dessen Emblem. Wir gehorchen ihm, spitzbübische Phantasien übers Fäkalische, derb Komische oder Sexuelle weisen wir fort aus der Stille der Orte. Peter Handkes Toilette ist jene Stelle der Welt, an welche Ich sich begibt, will es die Außenreize und Anforderungen einer Wimmel-Zeit herunterdrehen, will Ich stumm werden, dann aber auch wieder von der Sehnsucht nach Rückkehr zu den Menschen und zu ihrer Sprache überflossen werden. Zuerst Versenkung, dann Rückfindung.
Er, dessen „Versuche“ man als Zen-Geistigkeit sehen könnte, sagt, von ganz Japan, das er auf seiner Weltumrundung vor fünfundzwanzig Jahren besucht hat, wäre ihm das „wahre Japan“ nicht geblieben, hätte er nicht das Klo der Klosteranlage Nara entdeckt. Lampenloser Dämmer, noch ein Schimmer Tageslicht, was ihn in die Gestimmtheit einer Schrift von Tanizaki versetzt habe.
Eine weitere Vereinigung mit dem Ort der Stille glückte ihm schon als junger Mann, auf der ersten Ausfahrt allein durch Kärnten. Nachts in der Bahnhofstoilette in Spittal am Millstätter See, der Station transkontinentaler Schnellzüge. Da noch habe der Bahnhof die gesamte Nacht offen gestanden, aber niemand sei dort gewesen in den Sommernachtstunden. Mit der Zeit sei ihm doch etwas klamm geworden beim Herumlaufen, sodass er Zuflucht gesucht habe in der Toilette, sich am Boden liegend um den Abtritt geschlungen habe. Das in etwa sind die Erleuchtungen, von denen uns der Nach-Romantiker Peter Handke in solchen Altersschriften kündet. Wer jetzt lacht, der hat es nicht wirklich verstanden.
Zitat:
Selbst jene gewisse Zeit an den Stillen Orten, welche ich „überzog“ - im Fußballspiel hat man das „Zeitschinden“ genannt -, habe ich im Lauf der nachjapanischen Jahre und Jahrzehnte benutzt zu „Gesellschaftsstudien“. Damit meine ich nicht die Abortinschriften, -zeichnungen, und dergleichen. Die habe ich zwar dann und wann gelesen, wie auch nicht?, und zur Kenntnis genommen. Sie jedoch zu betrachten und mich in sie zu vertiefen, das war und ist nicht meine Sache. Dennoch bin ich an den Stillen Orten - nicht etwa den privaten, mit allen den mehr oder weniger launigen Flapsereien und Sperenzchen dort, vielmehr den öffentlichen und halböffentlichen - immer neu ins Anschauen, Betrachten, und zu guter Letzt Sinnieren, Phantasieren und Imaginieren gekommen.
Selbst jene gewisse Zeit an den Stillen Orten, welche ich „überzog“ - im Fußballspiel hat man das „Zeitschinden“ genannt -, habe ich im Lauf der nachjapanischen Jahre und Jahrzehnte benutzt zu „Gesellschaftsstudien“. Damit meine ich nicht die Abortinschriften, -zeichnungen, und dergleichen. Die habe ich zwar dann und wann gelesen, wie auch nicht?, und zur Kenntnis genommen. Sie jedoch zu betrachten und mich in sie zu vertiefen, das war und ist nicht meine Sache. Dennoch bin ich an den Stillen Orten - nicht etwa den privaten, mit allen den mehr oder weniger launigen Flapsereien und Sperenzchen dort, vielmehr den öffentlichen und halböffentlichen - immer neu ins Anschauen, Betrachten, und zu guter Letzt Sinnieren, Phantasieren und Imaginieren gekommen.
[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-09-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.