Da nun ziehet der Maler seine kleine Fibel aus dem Wams und er schlägt die Worte der „Langsamen Heimkehr“ wiederum auf. Alle an den leuchtend rot bestrichenen Eisenkreisen aus Gartentischen blicken erkennend hinüber: ein Geistiger! In diesem Moment wird er eine neue Strophe aus seinem „Gedicht an die Dauer“ ihr singen und widmen im innigsten, brüchigsten Knabensopran.
Wie hingeschwindelt knapp 57, recht ausgreifend gedruckte Bibliothek-Suhrkamp-Seitchen, die vornehmst ihr künden: Nicht nur, dass Romantik heute nicht länger gängig, nicht lässig mehr, nicht voll zuträglich, hättet ihr, schnöde Zuseher, Lauscher und Leser mitnichten jemals wähnen dürfen, sondern getrost hättet ihr sollen sein, dass nicht einfach die Dorfschulmissionars-Romantik des Hermann Hesse und auch nicht bis ans Erbrechen der blassen Morgendämmerung die abgewetzte Schmiedeligkeit eines Meisters Rainer Rilke den Heiligen St. Joseph Eichendorff euch zurückschenken wird, sondern gläubig hättet ihr sein müssen, unglaubende Thomasse und bebende Veronicas, dass einstens ein Señor Handke uns allen noch werde erstehn!
Wir sehen es an quer über diese Terrasse und es rührt uns und tropft von uns nieder, wenn der Verzauberte Dichter ihr lieset: vom Ich und Sein des Autors Handke, nichts Triviales, sondern - wie angestrichelt - die Handvoll Menschen seiner Nähe, René Kalisky, an dessen jetzt leer stehendem Haus er kürzlich noch vorbeiging, sie, diese Frau nun, und Griffen, jener Ort, aus dem er uns zuerst erschien, der ergriffene Peter. Stille, Stadt, Momente, ein Stuhl, eine Wurst! Nein, eher die Dauer doch! Der Heimweg, der Kinderwagen, die Voraussetzung des Begängnisses. Viele wunderkleine Tiere und Pflanzen, deren Benennung Peter Handke botanisch-zoologisch ganz genau weiß, während wir dauernd am Googeln sind, was ihn da so verzückt. Dann das Zurückschieben eines Stuhls, der Seitenblick einer Lade. Nein, gemach, wir werden wurlig und unachtsam: ein Seitenblick in die Lade hinüber - naturgemäß.
Zitat:
Wahr bleibt:
Die Dauer ist kein Gemeinschaftserlebnis.
Sie bildet kein Volk.
Und trotzdem bin ich im Zustand der Gnade der Dauer
endlich nicht bloß ich allein.
Die Dauer ist meine Ablöse,
sie läßt mich gehen und sein.
Von der Dauer beseelt,
bin ich auch jene andern,
welche schon vor meiner Zeit an dem Griffener See standen,
welche nach mir die Porte d’Auteuil umkreisen werden,
mit denen allen ich zu der Fontaine Sainte-Marie gegangen sein werde.
Von der Dauer gestützt,
trage ich Eintagswesen
meine Vorgänger und Nachfolger auf meinen Schultern,
eine erhebende Last.
Wahr bleibt:
Die Dauer ist kein Gemeinschaftserlebnis.
Sie bildet kein Volk.
Und trotzdem bin ich im Zustand der Gnade der Dauer
endlich nicht bloß ich allein.
Die Dauer ist meine Ablöse,
sie läßt mich gehen und sein.
Von der Dauer beseelt,
bin ich auch jene andern,
welche schon vor meiner Zeit an dem Griffener See standen,
welche nach mir die Porte d’Auteuil umkreisen werden,
mit denen allen ich zu der Fontaine Sainte-Marie gegangen sein werde.
Von der Dauer gestützt,
trage ich Eintagswesen
meine Vorgänger und Nachfolger auf meinen Schultern,
eine erhebende Last.
Wir würden dies alles ja frech und keck eine kleine Pseudo-Weihestunden-Scharlatanerie nennen, ich, Handke, Peter, Priester des Schreibens - und da die winzige Oblate des euch huldig bewahrenden Herrn GOtt, welche durch mich den Zungen der Erwählten auferlegt, ... , wären wir nicht direkt und vollends überzeugt worden, dass Herr Doktor Peter Handke dieses alles, was er da veranstaltet, selbst und ganz ehrlich ernst genommen hat, überhaupt nicht als Possenspiel romantischer Dichtungsnostalgie abgezockt hat. Es ward ihm dieser Spätsommerabend an nährenden, atzenden Landschaftstischen droben überm Gäu ebenso rettend wie die anderen sechs Versuche, seine Besuche bei und Versuche über Schuhlöffel, Toilettenbrillen, Crème brulée, Roquefort, Espresso und Grappa und seinen letzten Salut für den blonden, mähnigen Maler, der unten im Tal schon brettert und in die Kühle der Sternennacht, gen Rom, gen Mönchberg, gen Damaskus, gen Salamis hinaus.
Welcher von uns allen mag, es zu wissen, sich nur unterfangen?
[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2015-12-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.