1945. Norwegen ist befreit, und der über achtzigjährige Schriftsteller Knut Hamsun wird in seinem Heimatland als Landesverräter arretiert und vor Gericht gestellt, sein Vermögen wird beschlagnahmt, die Lektüre von Zeitungen wird ihm verboten. Man wirft ihm Sympathie mit der Besatzungsmacht vor. "Auf überwachsenen Pfaden" enthält Hamsuns Aufzeichnungen aus der Zeit von der Arretierung bis zum Urteilsspruch 1948. Für ihn ist es eine Zeit der Demütigung. Man trennt ihn von seiner Frau, seiner Familie, steckt ihn zuerst in ein Krankenhaus, obwohl er nicht krank ist, später in ein Altersheim, dann weist man in für 4 Monate in eine psychiatrische Klinik ein, um festzustellen, ob er verrückt sei - Hamsun hat unter diesem Aufenthalt sehr zu leiden. Er beschwert sich bei seinem Richter über die Verfahrensweise, die man ihm angedeihen lässt und vermutet, dass er vielmehr in der Klinik sei, damit festgestellt werde, dass er verrückt sei. Dies wäre schließlich die einfachste Lösung des Falles. Der norwegische Staat spielt auf Zeit. Immer wieder werden anberaumte Gerichtsverhandlungen um Monate nach hinten verschoben. "Ich grüble und versuche herauszufinden, ob sich aus diesem ständigen Aussetzen ein rechtstechnischer Vorteil ergibt. Ist es möglich, dass jemand auf mein Alter spekuliert und darauf wartet, daß ich krepiere, von selbst sterbe? Doch dann würde die Sache ja auf ewig unentschieden bleiben, und wo ist da der Vorteil? Wäre es nicht mindestens genauso schlau, etwas mit mir zu tun, so lange ich noch am Leben bin?"
Diese drei Jahre bis zum Urteilsspruch sind sehr eintönig. Hamsun ist seit längerem taub und kann sich kaum mit anderen Menschen unterhalten, die Schriftstellerei verfolgt er seit vielen Jahren nicht mehr ernsthaft, er hat bereits alles erreicht. Auch lässt seine Sehkraft mehr und mehr nach, aber er ist in Frieden mit sich selbst. Briefe von Freunden gehen ihn nicht mehr viel an, oft lässt er sie wochenlang ungeöffnet herumliegen. "Sie wissen nicht, daß ich 'sitze', sie können sich nicht vorstellen, daß ich mir beim 'Systemwechsel' nicht einen Platz besorgt habe. Aber das kann ich".
"Gibt es nicht einen Stern, der Mira heißt? Ich hätte nachsehen können, aber ich habe nichts, um darin nachzusehen. Es ist auch gleich, Mira ist ein Stern, der kommt, ein wenig leuchtet und verschwindet. Das ist der ganze Lebenslauf" - Hamsun ist selbst von dieser Unerschütterlichkeit und diesem Gleichmut, die sich durch sein ganzes literarisches Werk ziehen. Er hat die Höhen und Tiefen des Lebens am eigenen Leib erfahren, hat sich in vielen Berufen durchgeschlagen, die Welt bereist, ist für sein Schaffen in Hunger und Armut gegangen, bis ihm der Durchbruch gelang, 1920 wurde er mit dem Nobelpreis bedacht, namhafte Persönlichkeiten seiner Zeit, darunter Albert Einstein, Hermann Hesse, Robert Musil und Bertolt Brecht hielten viel auf ihn - und doch geriet Hamsun in seinen letzten Jahren auf Abwege, indem er wie die meisten seiner Landsleute versuchte, sich mit der nationalsozialistischen Besatzung zu arrangieren und das beste aus den Zeiten der Not zu machen. Vergeblich setzte er sich in Telegrammen an Terboven und Hitler für das norwegische Volk ein. Dass Hamsun kein wackerer Widerstandskämpfer war, hat sicher viele enttäuscht - "Doch laßt uns, weil wir enttäuscht sind, nicht tragisch werden. Das ist es nicht wert".
Alles, was Hamsun nachgewiesen werden kann, sind eine Handvoll Artikel in den Zeitungen. Er hat nie jemanden denunziert, an keinen Versammlungen teilgenommen, keine Schwarzhandelsgeschäfte betrieben, keine NS-Organisationen und Frontkämpfer finanziell unterstützt und war niemals Mitglied der NS-Partei, obwohl man ihm dies nachsagte. In seiner Verteidigungsrede vor dem Gericht bittet er zu bedenken, dass er in einem besetzten, eroberten Land schrieb und während dieser Zeit meist von deutschen Offizieren und Mannschaften umgeben war, da sie ihm gegenüber argwöhnisch waren. "Wenn ich unter diesen Umständen, diesen Verhältnissen schrieb, so wird es verständlich sein, daß ich bis zu einem gewissen Grad balancieren musste als der, der ich war, als Mann mit dem Namen, den ich hatte, daß ich zwischen meinem Land und dem anderen balancieren musste".
Hamsun wird vorgeworfen, sich bei seinem von den Nationalsozialisten für Propagandazwecke inszenierten Besuch bei Hitler antijüdisch geäußert zu haben. Hamsun wehrt sich gegen diesen Bericht, hat ihn nie als authentisch anerkannt. "Ich gegen die Juden ausfällig werden? Dazu habe ich zu viele gute Freunde unter ihnen gehabt, und diese Freunde sind mir vornehme Freunde gewesen. Ich fordere den Direktor in aller Ruhe auf, meine gesammelte Produktion zu durchsuchen und nachzusehen, ob ich irgendwo ausfällig gegen die Juden geworden bin".
"Wenn die Nazis allerdings gedacht hatten, mit einem Nobelpreisträger als Propaganda- und Galeonsfigur hätten sie leichtes Spiel, so mussten sie bald entdecken, dass Hamsun sich auch in diesem Zusammenhang nicht von Autoritäten einschüchtern liess. 1943 war er bei Hitler auf dem Obersalzberg zum Tee eingeladen und brüllte seinen Gastgeber an wegen des unhaltbaren Regiments, das Terboven in Norwegen u.a. mit Geiselhinrichtungen, führte: 'Wir ertragen das nicht mehr!' Reichspressechef Otto Dietrich erinnerte sich später daran und meinte, er hätte nie erlebt, dass jemand Hitler so wiedersprochen hätte wie Hamsun. Hitler wurde ungehalten und verbat sich solche Einmischungen. Dennoch scheint Hamsuns Eingabe Erfolg gehabt zu haben, denn die Geiselhinrichtungen wurden gestoppt." (Quelle: hamsun-selskapet.no).
Während man Hamsun alles genommen hat, liegt Europa in Trümmern. "Wir alle sind so schuldig. Wir sind Millionen Schuldige.". Hamsuns Verhängnis war seine exponierte Stellung und dass er sein Land nicht verlassen hat, da ihm dies ein Verrat gewesen wäre. Während er seine Zeitungsartikel schrieb, sagte ihm "niemand im ganzen Land", dass etwas daran falsch sei.
"Was schrieb ich? Ich schrieb, um zu verhindern, daß norwegische Jugend und norwegische Männer töricht und herausfordernd gegen die Besatzungsmacht auftraten, ohne den geringsten Nutzen, nur zu Untergang und Tod für sie selbst. Das schrieb und variierte ich auf viele verschiedene Arten".
"Ich hätte versuchen können, mich nach Schweden hinüberzustehlen, wie so viele taten. Ich wäre dort nicht verkommen. Ich habe dort viele Freunde, ich habe dort meinen großen und mächtigen Verleger. Und ich hätte versuchen können, mich nach England durchzuschlagen, wie auch so viele taten, die später als Helden zurückkamen, weil sie ihr Land verlassen hatten, aus ihrem Land geflohen waren. Ich tat nichts in dieser Richtung, rührte mich nicht, das fiel mir niemals ein. Ich glaubte, meinem Land am besten zu dienen, wenn ich blieb, wo ich war [...]".
Es ist leicht, jemanden zu verurteilen, gerade, wenn man keinen direkten persönlichen Bezug zu der Zeit hat, um die es geht. Man kennt alles nur vom Hörensagen, hat sich aufgrund des historischen Abstandes sein bequemes Weltbild zurechtgelegt. Man ist überzeugt, dass man damals selbst Freiheit, Gesundheit und Leben gegeben hätte, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Das sind Worte, die so schön über die Lippen kommen, weil sie so edel sind, aber tatsächlich geht immer nur der geringste Teil der Bevölkerung bis zum äußersten und stellt das Wohl der Allgemeinheit über sein eigenes.
Die Geschichte hat die Exilanten wie die Manns für ihren doppelten Überlebenssinn belohnt. Sie haben ihre eigene Haut gerettet und kamen so nicht in die Verlegenheit, wie Hamsun balancieren zu müssen; Hamsun war allerdings auch nie ein politischer Schriftsteller. Unentschuldbar bleibt Hamsuns unsäglicher Nachruf auf Hitler, den er kurz nach dessen Selbstmord veröffentlichte - und genauso unverständlich wird es uns für immer bleiben, wie ein so herausragender Schriftsteller politisch und historisch so danebengreifen konnte.
"Es gibt so wenig, das dauert, die Zeit frißt es, die Zeit frißt uns alle. Ich verliere ein Stückchen meines Namens in der Welt, ein Bild, eine Büste, es wäre wohl kaum ein Reiterstandbild geworden" - und doch: Hamsuns einzigartige Werke sind uns bis heute geblieben, und das ganz gleich, wie man zu ihm als Mensch angesichts seiner Verfehlungen stehen mag, "Segen der Erde, "Victoria", "Das letzte Kapitel" - es sind Werke, die in der Weltliteratur ihren Platz gefunden haben und unsterblich geworden sind.
[*] Diese Rezension schrieb: Arne-Wigand Baganz (2005-01-26)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.