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Peter Härtling - Hölderlin
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Härtling, Peter:
Hölderlin

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(Bücher frei Haus)

Wenige Lyriker haben so spät und doch so nachhaltig auf die deutsche Sprache gewirkt wie Friedrich Hölderlin (1770-1843). Und noch weniger Autoren haben es fertiggebracht, sich seiner zerrissenen Lebensgeschichte so behutsam anzunähern wie Peter Härtling. In seinem erstmals 1976 bei Luchterhand in Frankfurt am Main erschienenen Buch „Hölderlin. Ein Roman“ gelingt ihm in beeindruckender Weise der Spagat zwischen Biografie und erzählerischer Großform. Immer an den historischen Begebenheiten orientiert, interpoliert Härtling geschickt an denjenigen Stellen, an denen keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen und bleibt gleichwohl ganz und gar transparent in der Darstellung, indem er diese Stellen stets benennt. So montiert er Faktisches und Fiktionales zum fesselnden Kaleidoskop eines außergewöhnlichen Künstlerdaseins. Dabei geht Härtling weitgehend chronologisch vor, beschreibt Hölderlins pietistisch geprägte Kindheit und Jugend anhand der Stationen Lauffen, Nürtingen, Denkendorf und Maulbronn, die Studienzeit in Tübingen, wo er mit dem Gedankengut der französischen Revolution konfrontiert wird, seine ersten literarischen Erfolge, das anschließende rastlose Umherziehen von einer Hauslehrerstelle zur nächsten im Thüringischen, seine erneuten Intermezzi in Nürtingen bei der Familie, seine verhängnisvolle Begegnung mit Susette Gontard in Frankfurt, seiner unglücklichen Lebensliebe, seine tiefe freundschaftliche Beziehung zu Isaac Sinclair, dem Diplomaten am Homburger Hof, dem er so viel zu verdanken hat, die beginnende innerliche Abkapselung, seine Wege in den Kriegswirren zwischen Österreich und Frankreich, seine letzte Hofmeisterstelle in Bordeaux, von der zurück er, schon ansatzweise geistig umnachtet, sich noch einmal zu einem Neuanfang in Nürtingen und Homburg bewegen lässt und schließlich sein fortschreitender seelischer und geistiger Verfall, der ihn genau auf der Hälfte seines Lebens endgültig ereilt. Die letzten Jahrzehnte im Tübinger Turm werden dann nur noch kurz gestreift, Hölderlins schöpferisches Leben ist zu Ende. Härtling überwindet die trockenen Fakten, erfindet seine historischen handelnden Personen neu, haucht ihnen Leben ein. Die Erzählhaltung, die dabei eingenommen wird, ist vorwiegend auktorial. Immer wieder setzt dieser Erzähler neu an, zweifelt, ob es ihm gelingen kann, die Wirklichkeit von damals authentisch nachzugestalten. Gleich zu Beginn bekennt Härtling freimütig in Bezug auf seinen Protagonisten: „Ich bemühe mich, auf Wirklichkeiten zu stoßen. Ich weiß, es sind eher meine als seine. Ich kann ihn nur finden, erfinden, indem ich mein Gedächtnis mit den überlieferten Erinnerungen verbünde“. In den chronologischen Ablauf, in dem auch einer mehr als nur oberflächliche Reflexion des dichterischen Werkes Hölderlins und seiner Weltanschauung Raum gegeben wird, webt Härtling sogenannte Geschichten ein, die bestimmte Vorkommnisse exemplarisch herausgreifen (oft geht es hierbei um Liebe und Freundschaft), die Lebens- und Zeitumstände fassbar machen helfen, die Distanz des rein Biografischen zunichte machen. Härtling erfühlt, erfährt Hölderlin – für den Leser und sich selbst. So schafft er paradoxerweise eine Entmythisierung des Genius Hölderlin und gleichzeitig eine Form zwischenmenschlicher Verklärung über den Graben der Jahrhunderte hinweg. Dies rechtfertigt eben gerade auch die gewählte Form der „Annäherung“, diesem merkwürdigen Zwitter aus Roman und Lebensbeschreibung, dem man zu Beginn vielleicht ein wenig ratlos gegenüberstehen mag. Wir erfahren so viel mehr über den Menschen Hölderlin, als es eine kahle Biografie zu vermitteln vermöchte. Und doch wirkt dieses Private, Innerliche nie fiktional dahererfunden. Härtling streut geschickt immer wieder auch Mundartliches ein, wenn er mögliche Dialoge wiedergibt. So bleiben die Handelnden stets menschlich erfahrbar. Und so nimmt man es auch Härtling ab, wenn er sich beispielsweise auf das Ehepaar Zimmer bezieht, das sich in den langen Jahren der geistigen Entrücktheit Hölderlins des Dichters liebevoll und geduldig annahm: „Man kann nicht allen Figuren zugeneigt sein, die man beschreibt. Diese beiden, Ernst und Lotte Zimmer, habe ich, schreibend, zärtlich geliebt.“ Peter Härtling, seines Zeichens auch selbst einer der großen Lyriker der Gegenwart, ist mit diesem Buch über Hölderlin ein zeitloses Meisterwerk gelungen, dem auch fast fünfunddreißig Jahre nach seinem Erscheinen eine ungebrochen zahlreiche Leserschaft zu wünschen ist.

[*] Diese Rezension schrieb: Marcus Neuert (2010-05-02)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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