"An dieser Frau fesselte mich etwas schon von weitem. Vielleicht war es ihre Art zu gehen: unvorhersehbar, unschlüssig, als müsste sie mit jedem Schritt neu entscheiden, wohin sie wollte."
Mit diesem mitten in eine geheimnisvolle Handlung führenden Satz beginnt der namenslose Ich-Erzähler in Joel Haathelas neuem Roman eine atemlos geschilderte Geschichte einer Suche, letztlich der nach dem eigenen Ich.
Als der Schirm der beobachteten Frau bei strömendem Regen von einem Windstoß fortgetragen wird, bietet der junge Erzähler, von Beruf Psychiater wie Haathela selbst, seine Hilfe an und die beiden kommen ins Gespräch. Die Frau heißt Magda Roux, stammt aus Paris und ist auf der Suche nach ihrem ehemaligen Ehemann Paul, mit dem sie immer noch in Verbindung steht. Da sie seit über sechs Monaten nichts von ihm gehört hat, ist sie der Spur einer Postkarte gefolgt, die sie aus Helsinki von ihm erhalten hat. Nachdem der Erzähler ihr seine Hilfe angeboten hat, verwickelt er sich bei der Suche nach Paul Roux selbst immer tiefer.
Bald schon verschwindet Magda Roux spurlos, doch dadurch hört die atemlose Suche des jungen Psychiaters nicht auf. Denn auf eine ihn fesselnde und nicht mehr loslassende Weise taucht er von einem Tag auf den anderen in das Leben und das Werk einer finnischen Schriftstellerin ein. Diese in Finnland sehr bekannte Raija Siekkinnen war 2004 in der Hafenstadt Kotka auf unerklärliche Weise umgekommen. Ein Buch von ihr fesselt ihn: "Mit jedem Tag sank ich tiefer in die Welt des Buches, die mich selbst dann nicht losließ, wenn ich ihr entfliehen wollte. Sie bestimme alles um mich herum."
Spärliche Andeutungen beschreiben die gescheiterte Ehe des Erzählers, der mit feinfühliger Sprache und tiefem Gespür für sich selbst den Geheimnissen des menschlichen Lebens nachgeht und immer mehr auf die Spur nach sich selbst kommt, „nach der eigenen, einsam hallenden Stimme".
Das Buch liest sich wie eine psychoanalytische Detektivgeschichte, spannend und sprachlich auf sehr hohem Niveau. Man kann es bis zum bis zuletzt offenen Ende einfach nicht aus der Hand legen.
Joel Haahtela, Die Verschwundenen von Helsinki, Berlin Verlag 2013, ISBN 978-3-8270-1139-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-07-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.