„Wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen“. Die Betonung liegt auf „einmal“, wie der Leser dieses fulminanten Comebacks bald erfahren muss. Wenn der Brenner nämlich in der Jauche liegt und mit dem lieben Gott spricht, glaubt man wirklich daran, dass es bald aus sein wird, mit unserem Lieblingsdetektiv. Tatsächlich red’t der Brenner also auch in der Stunde des Todes munter drauflos, denkt sich vor und zurück und im Kreis und findet doch noch die richtige Lösung für sein Dilemma, oder wäre hier das Plural angebracht? Dilemmas oder Dilemmata? Jedenfalls spricht der Brenner wieder im vertrauten Umgangston mit dem Leser (und dem lieben Gott), verwendet gerne das Perfekt oder beginnt seine Hauptsätze mit „Weil“, philosophiert mit Georg Büchner (in Abwesenheit) über das Anzünden von Palästen, obwohl die Reichen ja heute ohnehin mehr Hütten hätten und ist auch nicht darum verlegen, mit einer Südtirolerin ins Bett zu springen, obwohl er sie eigentlich kaum versteht und sie auch der eigentliche Ausgang allen Übels ist, wie der Brenner bald selbst schmerzlichst herausfinden muss.
Als „Fara“ (Fahrer) von der kleinen Helena von ihren viel beschäftigten Eltern angestellt erlebt der „Herr Simon“ sein persönliches Armageddon, als das zweijährige Kleinkind auf einer Tankstelle entführt wird. Natürlich setzt der Hobbydetektiv und Ex-Polizist alles daran, Helena wiederzufinden und deckt dabei ganz nebenbei eine Verschwörung um den Wiener Prater auf. Dabei vertilgt er nicht nur eine Unmenge Tranquilizer, sondern auch unzählige alkoholfreie Biere und ebenso viele Espressos. Nebenbei läβt der Brenner ein paar schöne Lebensweisheiten über Gott und die Welt und die Frauen im Besonderen vom Stapel oder besser: von der Palette und diese fallen beim Leser nicht ins Leere, sondern in den wohl bereiteten warmen Schoβ. Ein paar Satzperlen wie „Ihre Lippen wurden so schmal, dass man sich beim Küssen lebensgefährlich daran verletzt hätte“ oder „Weil das war die italienische Hälfte, die hilft beim Arrogant-Stampfen“ darf ich hier in der Rezension durchaus verraten. Eine gewisse Rolle spielt auch die „Zone der Durchsichtigkeit“, nämlich beim Spannungsbogen, in dem der Kulminationspunkt des Romans auf 100 durchgezählt wird. Die „Zone der Durchsichtigkeit“, so heiβt nämlich die gläserne Haut der Eizelle, in der der Samen sich bei der Befruchtung festsetzt. 100 Stunden vergehen also bis der Brenner die Helena wiederfindet und 100 Stunden (6-7 Tage) dauert im Allgemeinen auch die Befruchtung, sagt quasi die Wissenschaft, wie der Brenner meint. „Einerseits spüren Sie es, andererseits argumentieren Sie so logisch“, sagt er einmal zur Südtirolerin und man möchte vor lauter Lachen fast in sein Milchglas spucken, wenn der Brenner die nur vertragen würde. „In der Milch wäre die interessante Nachricht gewesen“. Der Teufel liegt im Detail, der liebe Gott mit dem Brenner in der Jauchegrube…
Natürlich spielt beim Brenner auch der Soundtrack eine gewisse Rolle und wer einmal von
Jimmy Hendrix‘s “Castles made in the Sand” gehört hat, wird das “eventually” in dem Text nach dem Lesen des neuen Brenners mit qualitativ hochwertigerer Raffinesse betonen: „And so castles made of sand melts into the sea, eventually“. Und zum Soundtrack gehört nicht nur der Klingelton vom Handy - auch der Brenner geht mit der Zeit - sondern auch die Elegie vom Brenner über das Autofahren, bei der man fast Lust darauf bekäme, wenn man es nicht ohnehin schon die ganze Zeit über tun müsste. Sein Hohelied auf die „Wanderwut“ liest sich göttlich und man wünscht sich bald, so schnell wie möglich einen neuen Brenner herbei, da man auch diesen eben so schnell verschlungen hat, dass man gar nicht zum Nachdenken gekommen ist, ob der einem eigentlich wirklich so gut gefällt, oder ob man ganz einfach schon süchtig geworden ist, nach diesem ding, diesem Zeugs, dem Herrn Simon mit seiner Schokolade eben.
Wolf Haas
Der Brenner und der liebe Gott
österreichischer Krimi
Hoffmann und Campe
2009
224 Seiten
ISBN: 3455401899
€ 18,99.-
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2009-10-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.