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Wolf Haas - Das ewige Leben
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Haas, Wolf:
Das ewige Leben

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(Bücher frei Haus)

Mit dem sechsten Brenner-Krimi wollte es Wolf Haas ursprünglich wohl sein lassen. Danach kam im Jahr 2006 sein Nicht-Krimi „Das Wetter vor 15 Jahren“, erst im Jahr 2009 noch ein Brenner (... und der liebe Gott“), dann wieder einer im Jahr 2014 („Brennerova“). Eine Verfilmung vom Brenner, zum Glück wieder mit Josef Hader, gab es im Frühjahr 2015 (endlich) auch noch mal: Eben dieses „Ewige Leben“, wobei allerdings große Teile der Story radikal umgeschrieben worden sind.

Zu den Zeiten von „Das ewige Leben“ muss Wolf Haas seinen Detektiv Simon Brenner satt gehabt haben. Es dürfte das am lustlosesten hingehudelte Buch dieser Serie sein, die doch zumindest mit „Komm, süßer Tod“ und „Silentium!“ auch Stücke umfasst, die das Reinkommen, Ausprobieren und Angewöhnen an die forciert österreichische Satire-Komik zum Vergnügen machen.

Für den (damals anvisierten) Abschluss hatte Haas sich vorgestellt, dass Brenner an den Ort der Kindertage zurückkehrt, in den Grazer Stadtbezirk Puntigam, in dem sich neben einer großen Nervenklinik auch die landesweit bekannte Bierbrauerei befindet. Weshalb es quer durchs Buch (und im Film dann schon mal nicht) dieses Mal nicht nur Jimi Hendrix, sondern auch ein Werbejingle erklingt: „Lustig samma - Puntigamer“.

Der Brenner soll ins Haus seines verstorbenen Opas ziehen, soll für einmal am Ende die Frau aus der Geschichte auch kriegen und mit ihr sesshaft werden. Oder, na ja, unter die Hendrix-Cover-Rocker gehen. Ganz am Schluss soll sogar herauskommen, wer die Brenner-Geschichten die Jahre vorher so kauzig erzählt hat. (Haas‘ fiktionale Erzählerstimme, die Texte geben ja vor, von einem Dritten verfasst zu sein.) Das ist ein alter Mann (wir hatten es vermutet), aber wenn alles heraus ist, wäre es einem lieber, es wäre nie aufgedeckt worden.

Eine andere Dramaturgie wollte er riskieren, der Haas. Mit einem glatten Kopfdurchschuss erwacht Brenner (bei dem sonst jedes Mal der winkende Tod erst beim Showdown hereinschaut) gleich am Anfang aus wochenlangem Koma, flüchtet aus der Klinik (keine Handlungs-entscheidende Ärztin wie im Film) und begibt sich auf den Rachepfad, da er zu wissen glaubt, wer ihn hat umlegen wollen: der Chef der Grazer Kriminalpolizei. (Im Film ist er dann wirklich der Grausige.) Man kennt sich aus weit zurückliegenden Polizeischuljahren, genauer: von einem schlimmen Bubenstück, bei dem drei Polizisten und eine Rockerbraut sich als Räuber probierten und ein Mensch sein Leben lassen musste.

Interessant verspricht es zu werden, denn von da an muss die Erzählung parallel in der Zeit vorwärts und auch rückwärts entwickelt werden, jeweils ab dem Augenblick, wenn Brenner wieder zu Bewusstsein kommt und die Erinnerungen an das Geschehen davor allmählich wiederkehren. Allerdings haut das nicht so fulminant hin, wie Haas es sich vorgestellt haben mag.

Brenner-Krimis haben diesen nie ganz befriedigenden Aufbau, dass von Kapitel zu Kapitel dem Leser ganz schnell eine Reihe von Figuren vorgeführt werden, jeweils nur knapp anskizziert. Man ist noch nicht in der Lage, Haupt- von Nebenfiguren zu unterscheiden, da fängt das große Sterben an und einige fallen rasch wieder von der Bühne. Sodass die Zahl der noch Überbleibenden mit einem Mal klein wird und die Frage nach dem Mörder leicht zu beantworten scheint. Der Kniff des Spannungsautors Haas besteht dann darin, dem Leser einen als Hauptverdächtigen zu präsentieren, der es trotzdem nicht war, sondern ganz ein anderer, der dem Brenner vielleicht wie ein Helfer vorgekommen ist. Es kommt bei dieser Dramaturgie ein gewisser Überdruss auf. Die Welt schaut wie ein Abzählreim aus. Alle sind letztlich entweder Opfer, fälschlich Verdächtigte, Täter oder auch der eine wahre Freund, der dem Brenner am Ende rettend beispringt. Außer ihnen sind keine Personen im Buch und es ist angeblich unmöglich, dass das Böse irgendwo steckt, wo der Brenner noch gar nicht hingekommen ist, der ja viel herumstreift in seiner Unwissenheit. Doch niemals zuvor in einem Brenner-Krimi ist die Personenkonstellation so in sich selbst hineingestaucht gewesen wie in „Das ewige Leben“, stehen Täter und Retter, falsche und wirkliche Verdächtige sich dermaßen nah. Es schaut aus wie eine leere Bierdose, die einer zerknickt hat (Puntigamer - lustig sammer?).

Der Kripochef war’s nicht, ihn rafft der Hirnschlag bald hinweg. Der stille Mieter in Brenners Dachgeschoss wird’s kaum gewesen sein. (Der komische Nachbar aus der Verfilmung spielt keine Rolle im Buch.) Dass es der gutkumpelige Krankenpfleger mit seinen hilfreichen Beziehungen zu den slowakischen Zigeunern (tauchen im Film nicht auf) kaum gewesen sein kann, ist klar, wenn man gewöhnt ist, dass eine Art Underdog Brenner im Kampf gegen die Mächtigen beisteht. Alle anderen - und das sind jetzt nicht mehr viele, sind mehr oder weniger verwandt. Opfer, die zu Tätern werden, Täter, die am Ende besser nicht bestraft werden. (Während in der Verfilmung halt der Schlaganfall den bösen Kriminaler ausschaltet, bevor der Brenner drankommt.)

Holterdipolter hoppelt das munter zwischen allerlei kabarettistischen Milieuskizzen umher, die Haas nicht unterlassen wollte. Im Film dann schon, da war er nur der Co-Autor vom Regisseur und Filme gehen halt nicht so lang. Da ist ein Fußballstadion, das an Graz‘ größten Sohn erinnert, Arnold Schwarzenegger, dann das „Pasolini“, ein schicker Club - und der Name ist extrem wichtig für die Auflösung des Falles (im Film wurde ein ganz normales Café, namenlos, daraus), dann die Güterwagenreise in die Slowakei, wo die Zigeuner alle herkommen (im Film gestrichen) sowie eine wild rumorende Bürgerwehr (im Film gestrichen zugunsten von bedrohlichen Polizisten, die vom eigenen Boss aber gelinkt werden). Ganz am Ende mündet alles in eine gigantische, seitenlange ding-Orgie, wo du weißt, jetzt ist ganz aus. Was eine „ding-Orgie“ ist, sagen wir hier natürlich nicht. (Das wirst dann schon noch merken.)

Wobei! Von wegen ding und du-Leseranrede! So zerstreut und unlustig war der Haas beim Schreiben seines Abschied-Brenners, dass er auf beides fast ganz vergessen hat. Du schaust es dir an und du siehst auf neunzig Prozent der Seiten kein einziges „ding“ und kein „Jetzt, warum der Brenner ...“ und kein „frage nicht“ oder ein „wenn du heute“ oder so was wie „sprich die Liebe halt wieder“. Du siehst da nicht mal ein Du mehr, nur ganz selten noch, so in dem Zitat, das wir bringen. Dafür siehst du Seite um Seite Original-Dialog, wörtliche Rede, wie die das angeblich gesprochen haben. (Sonst ja stets indirekt, eben von dem geheimnisvollen Erzähler aus dem Zeitabstand referiert.) Das Allerschrecklichste ist, dass ihm das gegen Schluss dann klar wird, dass ding fehlt. Und darum sagt er gleich mehrfach: „dings“! Du hast jetzt richtig gelesen, ich hab es richtig geschrieben: Es steht mehrmals „dings“, wo es „dings“ überhaupt noch nie geheißen hat, sondern beim Brenner hat alles immer nur ding geheißen. Danach aber, wie gesagt: ding-Orgie.

Wenn du mich fragen tätest, ich würd meinen: Es wär dann schon auch mal gut gewesen. Man liest es und man denkt, okay, tschau Brenner, einmal war’s schon schön. Aber so wie hier muss es nicht weitergehn.

Zitat:

Ich weiß nicht warum, aber das war bei Brenner immer schon so, Moped und alles gut. Eine gewisse Schwerelosigkeit. Du wirst sagen, Gefahr für die öffentliche Sicherheit, weil so ein halb blinder Mopedfahrer seit Tagen nicht mehr geschlafen hat. Und das stimmt schon, besser wäre es gewesen, er hätte ein bisschen geschlafen, aber da redet man als Außenstehender leicht.


[*] Diese Rezension schrieb: KlausMattes (2015-09-27)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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