Das vorliegende Buch ist sicher eines der bemerkenswertesten Romandebüts dieses Jahres. Die 27- jährige, in Baku in Armenien geborene Olga Grjasnowa hat es geschrieben und mit der Hauptfigur des Buches auch viel von ihrem eigenen Leben erzählt und verarbeitet. Als Kind erlebte sie die blutigen Kämpfe zwischen Aserbaidschanern und Armeniern (Berg Karabach), kam als jüdischer Kontingentflüchtling mit ihren Eltern nach Deutschland und lebte dort in einer hessischen Kleinstadt in der Nähe von Frankfurt. Sie spricht mehrere Sprachen, hat schon viele Preise und Stipendien erhalten, ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig und blickt auf längere Auslandsaufenthalte in Russland, Polen und Israel zurück.
Nun hat sie mit der Geschichte von Maria Kogon, auch Mascha genannt, ein deutlich autobiographisches Buch veröffentlicht, das sehr eigensinnig einen neuen literarischen Ton anschlägt und zu Recht von vielen Kritikern gelobt wurde. Maschas lebt als Dolmetscherin in Frankfurt. Sie lebt ein chaotisches Leben, ist selbst sehr beweglich und flexibel, hoch intelligent. Mascha ist eine junge Frau, die, obwohl sie sie sucht, Nähe kaum wirklich erträgt. Und so flieht sie durch ihr Leben, und kann weder bei ihrer Familie noch bei ihrem Freund einen Halt finden. Auch ihr Beruf befriedigt sie nicht. Eines Tages wird ihr Freund Elias beim Fußballsspielen schwer verletzt. Eine auf den ersten Blick normale Oberschenkelfraktur wächst sich zu einer quälend schmerzhaften Sache aus, und nach langen Wochen der Pflege stirbt Elias an einer Sepsis. Mascha ist verzweifelt. Sie wird von Schuldgefühlen geplagt, die zu den permanenten traumatischen Kindheitserinnerungen noch dazu kommen.
Mascha flieht vor ihrer Vergangenheit nach Israel, um dort als Dolmetscherin zu arbeiten. Sie fährt ohne Illusionen dorthin und ist doch erschüttert von den Auseinandersetzungen und dem Hass zwischen Juden und Palästinensern. Sie trifft dort viele Menschen, macht Bekanntschaften und hat Affären, doch ihre innere Leere bleibt. Die Trauer über ihren Freund Elias ist übermächtig und überlagert alles. In Sami, einem früheren Freund hat sie einen Vertrauten, der immer zu ihr steht, und nach dem Tod von Elias die einzige wirkliche Konstante in ihrem wurzellosen Leben darstellt.
Alle Figuren dieses Romans haben ähnliche Züge. Sie sind politisch engagiert, denken und fühlen multiethnisch und haben wie selbstverständlich ein kosmopolitisches Bewusstsein. Doch obwohl sie hochintelligent und extrem beweglich sind, schaffen sie es nicht, ihre Lebenskraft und Kreativität umzusetzen, irgendwo anzukommen und Wurzeln zu schlagen.
Ich bin auf die nächsten Romane dieser außergewöhnlichen Frau gespannt. Gespannt darauf, wie sie weiter ihr Leben reflektiert und es in großer Prosa umsetzt.
Olga Grjasnowa, Der Russe ist einer, der Birken liebt, DTV 2013, ISBN 978-3-423-14246-5
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-09-09)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.