„Venedig! Ich wünschte, dass ich einen Ausruf erfinden könnte, der wie ein Schrei der Lust alles das verkündete, was mir diese Stadt ist.“, schrieb einst Otto Julius Bierbaum und wie er haben seither viele in diesen Gesang eingestimmt. Selbst ein Friedrich Nietzsche wurde beim Anblick der Gondeln schwach und fing an zu dichten: „An der Brücke stand/jüngst ich in brauner Nacht. Fernher kam Gesang; /goldener Tropfen quolls/über die zitternde Fläche weg. /Gondeln, Lichter, Musik-/trunken schwamms in die Dämmerung hinaus...“. Seine Seele fühlte sich unsichtbar berührt und suchte er eine Beschreibung für Musik, so wäre es Venedig gewesen. So wie er taten es ihm seither viele gleich und auch davor und danach findet sich so manches Bonmot über Venedig in diesem wohl nützlichsten Reiseführer der ganz anderen Art über die versinkende Stadt.
Die Reihe „Europa Erlesen“ des österreichischen Wieser Verlages widmet sich in kurzen eigens dafür ausgewählten Literaturausschnitten dem jeweiligen Thema und gibt so einen interessanten Einblick in die verschiedensten Regionen Europas. Darunter findet man nicht nur Italien, sondern vor allem auch Südost- und Mitteleuropa, aber auch die traditionellen Regionen Westeuropas. Seit Beginn des Projektes (1997) sind eine Vielzahl von Publikationen erschienen, die Europa und seine Regionen nicht nur erkennen machen, sondern einen auch das kennen lernen lassen, was man glaubte, schon lange zu kennen. Man findet unter diesen „gehobenen Schätzen“ der europäischen Literaturgeschichte sowohl bekannte als auch unbekannte AutorInnen, oder wie im vorliegenden Fall, Venedig, sogar anonym überlieferte Quellen. Es handelt sich sowohl um Gedichte als auch Prosa oder einfach nur Auszüge aus größeren Werken, allen ist gemein, dass sie sich auf verschiedene, mannigfaltige Art und Weise mit dem Gegenstand ihrer Untersuchung auseinander setzen und den Leser so neue Erkenntnisse gewinnen lassen.
Der angesprochene „Anonym“ etwa spricht über die „sposalizio del mar“, das venezianische Fest, das jedes Jahr Anfang Mai stattfindet und schon seit mehr als 500 Jahren dort gefeiert wird. Die Vermählung des Dogen mit dem Meer, wie der volle Titel der auch Festa della Sensa genannten Festlichkeit lautet, ist eine imposante Inszenierung der venezianischen Eigenstaatlichkeit, wie sie schon von Francesco Guardi porträtiert wurde. Damals allerdings gab es noch ein Bucintoro, wie der anonyme Autor zu berichten weiß und der Doge sprach die Worte: „Desponsamus te, Mare, in signum perpetui dominii“. Die Prozession führte vom Bacino di San Marco zur Kirche San Niccolo auf dem Lido, wo der Höhepunkt des Festes stattfand: der Doge warf einen goldenen Ring ins Meer. Und heute noch gibt es Taucher, die vergeblich danach suchen.
Mit einer anderen venezianischen „Festlichkeit“ beschäftigt sich auch die Geschichte von Mark Twain, „Die venezianische Gondel“. Der humorvolle Europareisende findet allerdings wenig schmeichelhafte Worte für die Stadt, die er im 19. Jahrhundert vorfindet: „Beute der Armut, Vernachlässigung und des traurigen Verfalls“, sei es, dieses Venedig, die einstige Beherrscherin des Mittelmeeres, ein „Hausierer mit Glasperlen für Frauen“ sei es geworden, obwohl es einst „die Flotte Karls des Großen versenkte, Friedrich Barbarossa demütigte und ihre siegreichen Banner über den Zinnen Konstantinopels habe wehen lassen“. Heute herrsche vor allem eine „Art verstohlener Stille, die an heimliche Geschäfte gedungener Mörder oder Liebender“ denken lasse, schreibt Mark Twain. „Bang-glücklich wie ein Kind im Dunkeln“ wähnte sich hingegen Hermann Hesse in Venedig und „voller Erwartung“ fühlte sich Rainer Maria Rilke in Goethes „Biberrepublik“. Für George Sand ist Venedig gar „das Schönste, was man sich auf Erden denken kann“, und sie lobt weiter „die Bauten im maurischen Stil aus weißem Marmor inmitten der Wasserhelligkeit und unter einem prachtvollen Himmel, die Leute so fröhlich, so unbekümmert, immer geistsprühend und zum Singen aufgelegt, diese Gondeln, Kirchen, Gemäldesammlungen, die Frauen schön oder elegant, das Meer, das gegen deine Ohren brandet, und ein Mondschein wie es ihn sonst nirgends gibt“. Venedig war die Stadt meiner Träume, schreibt sie an einer anderen Stelle in vorliegender Publikation und man mag wohl denken, dass jeder Schriftsteller auch seine ganz eigene Geschichte erzählt, wenn er über diese Stadt spricht.
Amüsantes wechselt wieder Kritisches ab, etwa wenn Hugo von Hofmannsthal Venedig als einen „öden Winkel, wo sich die Füchse gute Nacht sagen“ bezeichnet. „Als ließe man einen um sechs Uhr früh auf der Rossauerländer oder unter den Weißgärbern aus der Fahrpost aussteigen, der sich in Wien nicht auskennt.“ Lustig auch, wenn er vom venezianischen „Bagatelladel“ spricht und für „miteinander diskutieren“ stattdessen „parlamentieren“ verwendet, das übrigens finde man in Venedig an jeder Straßenecke. Schon Johann Wolfgang von Goethe wusste bekanntlich, dass über Venedig schon zu „viel erzählt und gedruckt“ sei und seither ist noch vielmehr hinzugekommen, aber wohl keine Publikation ist so schmuck und vielfältig wie dieses kleine Venedig-Brevier, das ich jedem Venedig-Reisenden nur ans Herz legen kann.
„Nach dir allein, du Zauberstadt im Meere,/Nach dir, Venezia, fasst mich noch Sehnen/- O könnt ich still an deinen Brücken lehnen,/Du menschenvolle – und doch menschenleere!//Was deine Hoheit auch an Glanz entbehre/Vergang`ner Zeiten, nichtig muss ich`s wähnen;/Wie lieb ich dich mit deinen dunklen Kähnen, Die heut` noch des Genusses schönste Fähre!//Du bist der Ort für müde Lebensschwingen,/Die gern in deinen märchenhaften Räumen/Zu leisem Fluge noch empor sich ringen.//Du bist der Ort für letztes Becherschäumen: So möcht` auch ich in dir ein Lied noch singen/Und einer letzten Liebe Traum noch träumen.“ Ferdinand von Saar nannte sein Gedicht „Italia“ und meinte doch Venedig, wenn er von diesem märchenhaften Lande sprach, das zu entdecken sich immer wieder lohnt. Ob zur See zur Luft oder von der Terraferma, Venedig bleibt stets auch eine Reise in die eigene Vergangenheit und eine Zukunft voller Träume.