In diesem spannenden Roman erzählt Helene Gremillon die Geschichte eines mysteriösen Todesfalles. Die begnadete Tangotänzerin Lisandra, verheiratet mit dem Psychiater Vittorio, ist nach einem Sturz aus dem Fenster tödlich verletzt. Ist sie selbst gesprungen? Oder hat sie jemand gestoßen? Die Polizei hat sofort ihren Ehemann Vittorio im Verdacht. Es sind ja auch oft die Ehemänner, die beim Tod der Ehefrau eine Rolle gespielt haben.
In einer Atmosphäre von Lüge und Verrat ist Eva Maria, eine Patientin von Vittorio und heimlich in ihn verliebt, anderer Meinung. Sie glaubt an Vittorios Unschuld und macht sich auf eine ziemlich neurotische Weise auf ihre eigene Suche und beginnt zu ermitteln. Sie durchforscht die Mitschnitte seiner Therapiestunden und scheint auch schnell einen Täter zu finden, doch weitaus mehr Spuren führen immer wieder zurück zu Lisandras Ehemann.
Nach und nach enthüllen sich die unterschiedlichen Geschichten der Patienten, verschiedener Liebhaber und schließlich die von Lisandra selbst. Sie alle erzählen auf ihre Weise von Leidenschaft, Einsamkeit und unerfüllter Liebe. Die übersteigerten Erwartungen und die krankhafte Sehnsucht nach Zuwendung und Zärtlichkeit zerstören die Figuren. Jede hat ihr eigenes Kreuz zu tragen und einzig der Psychiater scheint zunächst als Ruhepol in diesem Reigen von gestörten Persönlichkeiten.
Gremillons Erzählweise – innere Monologe, Gedankenströme, Fantasien, Erinnerungen – verstärken noch das Gefühl der Isoliertheit der Figuren. Sie scheinen ganz in ihren eigenen Gedankenwelten gefangen zu sein und nur schwer in die Wirklichkeit durchbrechen zu können. Gleichzeitig bedeutet das eine starke Eingrenzung der Erzählperspektive für den Leser: Was ist hier real? Was ist wirklich passiert und was nur Ausdruck eines Wahns?
Für den Leser sind dieser Aufbau und dieser Stil wie ein Wechselbad, in dem er herumgeschleudert wird wie bei einem Tango. Es geht um Liebe und Betrug, um Lüge und was das alles mit Menschen anrichtet.
Helene Gremillon, In Zeiten von Liebe und Lüge, Hoffmann und Campe 2014, ISBN 978-3-455-60015-5
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-03-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.