Wie das gekommen ist, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Jedenfalls hatte ich schon in meiner Kindheit immer mehr Freude daran, anderen etwas zu geben, als selbst zu nehmen. Zum permanenten Entsetzen meiner Mutter, die darauf zu sagen pflegte: „Für die anderen fängt er Ratten und für sich selbst nicht mal eine Maus.“
Ich habe das immer mit einem Achselzucken überhört, denn ich fand es richtig, was ich tat und konnte und wollte es auch nicht ändern. Schlecht ist es mir dabei bis hin zu einer langen, sehr befriedigenden Berufstätigkeit als Pfarrer, Seelsorger und Berater nie gegangen. Im Gegenteil.
Als ich das vorliegende Buch des Organisationspsychologen Adam Grant las, musste ich häufig an Situationen aus meinem Leben denken, wo ich auf eine tiefe und sinnvolle Weise die Weisheit jenes Satzes aus der Bibel erfahren konnte: „Geben ist seliger denn nehmen.“ (Apg. 20,35)
Adam Grant zeigt an vielen Beispielen aus unterschiedlichen Unternehmen, dass die lange Zeit gültige Auffassung, dass der Geber schwach und der Nehmer in der Beziehung der Starke ist als überholt betrachtet werden kann. Zwar trifft es nach wie vor zu, dass Menschen mit Nehmercharakteren schnell aufsteigen und auch Erfolg haben, dennoch sind sie bei ihren Mitmenschen und Mitarbeitern so beliebt wie Bauchweh. Menschen mit Gebercharakteren hingegen, so zeigt er, haben die besten Erfolgsparameter. Sie sind in einem sehr hohen Maße für ihre Geschäftspartner und Mitarbeiter glaubwürdig, weil sie immer versuchen, partnerschaftlich zu handeln. Geber sind Menschen, die mit dem Ziel arbeiten und verhandeln, alle vom Sinn und Nutzen eines gemeinsamen Ziels zu überzeugen.
Während der Nehmer auf die günstige Gelegenheit wartet, das Schnäppchen, das ihn in Vorteil bringt und die anderen zurücklässt, ist der Geber ein Mensch, der ständig selbst die Initiative ergreift, nach neuen Wegen und Lösungen sucht. Wenn er Erfolg hat, profitieren immer andere mit.
Viele Menschen ganz unterschiedlicher Professionen werden in diesem Buch vorgestellt, deren oberstes Ziel nicht die Befriedigung ihres Egos ist, sondern die Zufriedenheit, Sinn und auch Glück daraus schöpfen, anderen von Nutzen zu sein. Sie setzen das, was sie haben zum Vorteil vieler, wenn nicht aller ein, haben damit Erfolg und soziale und menschliche Anerkennung.
Es ist gut, dass es solche Menschen gibt. Und es ist gut, dass sich die Parameter anscheinend zu wandeln beginnen und auch im harten Berufsalltag über diese schon in der Bibel gepriesene Fähigkeit nachgedacht wird.
Adam Grant, Geben und Nehmen. Erfolgreich sein zum Vorteil aller, Droemer 2013, ISBN 978-3-426-27620-4
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-10-11)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.