Ein phänomenales Artwork und künstlerisch hoch zu bewertende Zeichnungen machen den vorliegenden Comic zu einem zumindest ästhetischen Genuss. Außerdem spielt es in der wohl mystisch am meisten verklärtesten Zeitepoche der Weltgeschichte, im Frankreich der Belle Epoque, in einer Zeit also, in der illegale Substanzen noch legal erhältlich waren und sich so mancher seinen Alkoholrausch mit etwas Absinth und Opium zu einer tödlichen Melange „verlängerte“, was für den Schreiber der Geschichte wohl ebenso gilt wie für seine Protagonisten, denn die Einfälle sind teilweise sehr surreal und abstrus, aber man braucht dafür keinen Absinth zu trinken, denn die Zeichnungen verzaubern einen auch nüchtern.
Der junge Student Thomas jedenfalls sucht u. a. mit diesen - damals legalen - Substanzen Vergessen um jeden Preis, weil sein wahnsinniger Onkel schon seit 20 Jahren versucht, Thomas’ Mutter wieder zum Leben zu erwecken. Zum Glück kann man sagen, schlagen aber die Experimente immer fehl, bis Thomas ein lange verschollen geglaubtes Buch in die Hände bekommt: der Codex Angélique! Eine Art Bedienungsanleitung, um die Grenzen der Existenz zu überschreiten und Toten wieder Leben einzuhauchen. Wird es seinem verrückten Onkel dieses Mal gelingen, Thomas’ Mutter von den Toten wieder auferstehen zu lassen? Eine kleine Nebenrolle spielt übrigens auch ein gewisser Dr. Sigmund aus Wien, der vom im Irrenhaus arbeitenden Doktor Magnan zwar für einen Scharlatan gehalten wird, aber dennoch von ihm zu Rate gezogen wird, um den sich in Paris ausbreitenden Absinthismus, dem er die Ursache der Erkrankung vieler seiner Patienten zuschreibt, einzudämmen. Dr. Sigmund aus Wien wird sich später so allein in Paris fühlen, dass er sogar mit einer Nonne anzubandeln versucht. „Ich brauche Ihre Hilfe“, herrscht Dr Magnan den Fremden an, „Willigen Sie ein, den jungen Devisse privat zu behandeln?“ „Nur eine Frage noch,“ antwortet dieser, „Besitzen Sie eine Couch?“
Allerhand andere abstruse Gestalten befinden sich in der Anstalt, darunter die „Hyäne“, „Nosferatu“, der „Gipskopf“ oder der „Streichler“, ganz abgesehen von den prügelwilligen Aufsehern. Eine düstere Atmosphäre aus Schnürlregen und Friedhofsstimmung verbreiten die teilweise surrealistisch anmutenden Zeichnungen des Künstlers Mikaël Bourgouin, der bei Bilal gelernt haben könnte, aber dennoch seine eigenes Entwicklungspotential voll auszuschöpfen gelernt hat. Andere Schauplätze dieses Comics sind auch ein in Absinthgrün getauchtes Leichenschauhaus, in dem sich der Kommissar seinen Reim auf das Leiden der Leichen zu machen versucht und an seiner Pfeife zieht, bis ihm fast übel wird. Wenn die Geschichte auch etwas esoterisch wirkt, kann doch nichts darüber hinwegtäuschen, dass der Codex Angelique ein gelungener Wurf ist, für den man zwar etwas Chuzpe braucht, um ihn endgültig zu entschlüsseln, danach aber bald in ein freudiges „Heureka!“ einstimmen kann. Ein grandioser Zeichner, tolle Schauplätze und Personenrecherche und auf die eine oder andere Weise auch ein Happyend, wenn die Inzestkette endlich durchbrochen wird und endlich ein Baby erwartet wird, mit dem Genpool zweier nicht verwandter Eltern. Und hoffentlich auch ohne Absintheinfluss…
Autor: Thierry Gloris / Zeichner: Mikaël Bourgouin
Codex Angélique
Kompendium der Engel
ALL IN ONE
Einzelband
Hardcover