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Friedrich Glauser - Die Fieberkurve
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Glauser, Friedrich:
Die Fieberkurve

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(Bücher frei Haus)

Der glücklose Schweizer Kriminalromanautor mit seinen Drogensüchten, dem problematischen Vater, den Psychiatrieeinweisungen, auch mit seinem wunderbar menschelnden, tief berndeutsch geprägten, rau-herzlichen Wachtmeister Studer habe, gewiss doch, glaubt man sich zu erinnern, sehr gute Krimis geschrieben. Aber wenn beim (aus demselben Jahr 1937 stammenden und kürzesten) Studer-Buch „Krock & Co.“ gewisse Zweifel schon mal angebracht scheinen, sollte man vor diesem, dem umfangreichsten der fünf Romane sogar warnen. Hart gesagt: ein schlechtes Buch von einem Mann, der ohne Zweifel ein sehr befähigter Schriftsteller war.

Die Anforderungen an ein Spannungsbuch erfüllt es auf groteske Weise nicht. Genießen kann man es seines (nostalgisch gewordenen) Schweizer Kleinbürgerkolorits zuliebe und wegen dieser Maigret-artigen Polizistenfigur. Die nicht Kommissar ist, sondern bloß Wachtmeister, denn, wie in jedem Band aufs Neue erklärt wird, es hat in der Vorgeschichte eine „Bankenaffäre“ gegeben, bei der Studer sich mit den Mächtigen anlegte, Degradierung und Beförderungssperre waren die Folgen. Allerdings weiß Studers Vorgesetzter recht gut, dass Jakob Studer Berns fähigster Kriminaler ist.

Was im Buch los ist, wird einem kaum einmal ganz deutlich. Stellen häufen sich, an denen man schwören wollte, Glauser habe es wohl auch nicht mehr gewusst, darum einige Seiten des Rekapitulierens eingeschoben. Man möchte diese Seiten schneller umblättern. Hat Glauser etwa Zeilenhonorar geschunden? Seine Romane wurden als Fortsetzungen für Illustrierte und Zeitungen entwickelt. „Die Fieberkurve“ schrieb Glauser während seines Einsitzens in einer psychiatrischen Anstalt, reichte sie dann bei einem Wettbewerb ein. Bevor ein Buch daraus wurde, musste der Roman zwei Mal umgeschrieben werden.

Zum Zwecke konventioneller Krimiauflösung entfiel die Mystik am Ende. Nun überrumpelt uns Studer schlagartig mit einer rationalen Erklärung für alles, was zuvor gespenstisch-wiedergängerisch erschienen war. „Ein Fall der Schatten“, sei es gewesen, sagt er noch.

Wir erfahren von einer mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Vorgeschichte, einem Giftselbstmord, den die Polizeiakten als ungelösten Mordfall führen, der Täter wäre flüchtig. Dazu gibt es den Abdruck eines Daumens, dessen Besitzer nie gefunden werden konnte. Es gibt jene beiden Brüder Koller, welche südlich vom Atlas-Gebirge, in der Wüste Marokkos, bei der Fremdenlegion untertauchten. Aber Koller hießen sie nur in ihrem ersten Leben, in Fribourg in der Schweiz. Im Sahara-Posten Gurama tauchten sie dann als Cleman auf. Dort, in der Sahara, wohin Studer tatsächlich reist, Autor Glauser war eine Zeitlang bei der Fremdenlegion, begegnet uns ein hellseherisch begabter Korporal, der zu anderen Zeiten aber dann rege durch Mitteleuropa zu reisen scheint, hinterher vergessen hat, was er dort suchte. Collani heißt der Hellseherkorporal. Könnte es einer von den zwei Kollers sein?

Zuerst in Paris, später dann in Basel, läuft Studer die reizende junge Dame Cleman, Marie, über den Weg. Der behäbig Langverheiratete verguckt sich, unausgesprochen, irgendwie sehr in diese nicht völlig unverdächtige Person. Die Mutter dieser jungen Cleman wird in Basel mittels eines fingierten Gasunfalls umgebracht. Und kurz darauf deren Schwester in Bern. Zwei Koller-Brüder, zwei Cleman-Schwestern, zwei tote alte Damen. Aufklärung: Es sind nicht die Schwestern der Kollers, vielmehr war der eine Koller mit der einen Cleman verheiratet. Eine der Schwestern war gut, die andere böse.

Und dann noch dieser Vetter Cleman in Paris! Bei ihm im Büro hatte die junge Marie gearbeitet, gewohnt hatte sie auch bei ihm. Vetter Cleman ist mysteriös abgängig. In Marokko? Ist er um den Posten Gurama herum beobachtet worden? Und dann eine Kassette mit den Besitzurkunden über ein nicht erschlossenes Erdöllager. Jemand vererbt das Ölfeld jemandem und dieser Jemand weiß das noch nicht.

Dieser „verkachelte“ Fall (Originalton Studer) kommt ein langes Buch hindurch kaum von der Stelle, ist dann aber dem Berner sonnenklar. Er reist nach Paris, nach Basel, heim nach Bern, wieder nach Paris, nach Marokko. Überall läuft ihm, aber immer sehr flüchtig, eine von den Koller-Cleman-Figuren über den Weg. Jener alte Selbstmord, diese wertvolle Kassette!

Ständig begegnet Studer auch der komische Heilige, Pater Matthias, ein barfüßiger Mönch in Latschen, der irgendwie in den Fall gehört, der alles besser weiß, aber nichts sagt. (Ein Koller unter geändertem Namen?)

Man freut sich ja, diese exakt widergegebene Kleinbürgeratmosphäre der Dreißiger-Jahre-Schweiz (soziale Spannungen im Drinnen, die übermächtige Faschismushydra im Draußen, Frankreich als kulturelles Vorbild) wieder nachlesen zu dürfen ... Aber es muss auch gesagt sein: Wie unglaubwürdig und hanebüchen konstruiert sind die Handlungselemente des Krimis!

Wie der Latschen-Matthias sich einem aufdrängt als Verdächtiger! Man gelangt zur Überzeugung, der wird es also wohl nicht gewesen sein. Aber ... na ja ... An einer Stelle hören wir Matthias vom Hellseher im Fremdenlegionsposten (in Marokko) berichten. Der habe zwei alte Frauen, eine in Bern, eine in Basel, tot liegen sehen. Während dieser Erzählung sind beide Frauen allerdings noch am Leben. Später dann erfahren wir, die eine sei ja gar nicht ermordet worden, sondern durch einen Unfall gestorben. Zu allem hin ist der Schuldige am Ableben der anderen jemand, der es Pater Matthias nie und nimmer (vorher) erzählt haben kann. Hellseherei nun doch - in einem Roman, der zuletzt alles „logisch“ zu erklären versucht. Oder war das so: Unheilschwangere Vorausschauen sind dramaturgisch angebracht, wenn sonst sich nichts tut.

Hervorragend gelungen hingegen ist Friedrich Glauser das Hereinholen des in der Schweiz normalen, die Schichtengrenzen überspringenden Dialekts in seinen Erzählerton. Neben vielen, nicht immer leicht verständlichen Original-Dialektreden, scheint der Eidgenossenton auch durchs Schriftdeutsche immer wieder schön hindurch.

Zitat:

„Das Telefon schrillte. Studer hob den Hörer ab.
„Vetter Jakob!“, sagte eine Stimme. Und bevor Studer etwas antworten konnte: „Hilf mir, Vetter Jakob. Bitte, hilf mir! Du mußt mir helfen!“ Knacken. Der Wachtmeister klopfte aufgeregt auf die Gabel. Keine Antwort. Studer stellte die Nummer der Auskunft ein. „Wer hat zuletzt die Kantonspolizei angerufen?“ – „Einen Augenblick ... Sind Sie noch da?... Basel hat angerufen ... Kabine Bahnhof ...“ Studer vergaß zu danken. Er stand auf, streckte sich; dann ließ er aus einem Blechbehälter, der in einer Ecke des Zimmers an der Wand hing, Wasser über seine Hände fließen, trocknete sie ab, langsam und gewissenhaft, starrte lange auf das verkritzelte Löschblatt. Schließlich löste er es ab und steckte es gefaltet in die Tasche. Die Gänge waren leer. Aus trüben Kohlenfadenlampen tröpfelte spärliches Licht.
Er ging in eine Wirtschaft z'Nacht essen, er hatte keine Lust, das Hedy zu sehen. Vier große Helle trank er – aber eine Erinnerung ließ ihn nicht los.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2017-02-03)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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