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Friedrich Glauser - Matto regiert
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Glauser, Friedrich:
Matto regiert

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(Bücher frei Haus)

Der klassische Kommissar-Studer-Roman schlechthin.
Aber Pardon, Studer, der väterliche Hutträger und Brissagoqualmer, ist ja kein „Kommissar“, sondern nur Wachtmeister in Bern, Fahnder. Schroter, wie die Leute sagen, wenn sie glauben, er höre sie nicht. Vormals hat eine Ermittlung ihn die Kreise jenes bösen Oberst Caplaun stören und dieser ihn degradieren lassen. Auf die sogenannte „Bankenaffäre“ wird in jedem der fünf Polizistenromane angespielt, genauer erklärt wird sie nie.

Aber egal. Oberst Caplaun ist hier wieder mit von der Partie. Dessen seit Kindertagen verstörter Sohn befindet sich in psychiatrischer Behandlung beim (kommissarischen) Leiter der Heilanstalt Randlingen, Dr. Ernst Laduner. Ein smarter Bündner, dessen Sprache verdächtig oft ins Hochgestochene und Hochdeutsche kippt. Verdächtig ist das im Bereich der seinerzeitigen „geistigen Landesverteidigung“. Man kann im Radio das Aufschäumen eines offenkundig geisteskranken Volksverführers von der anderen Seite des Rheins herüber vernehmen, der noch böser ist als Caplaun.

Der Wahnsinn ist nah. Wie der Titel sagt: Er regiert. Und hat wohl auch den (eigentlichen) Anstaltsdirektor um die Ecke gebracht, einen einsamen, alten Mann mit vorsintflutlichen Methoden, mit einer Neigung zu jungen Pflegerinnen und mit gefährlich viel Geld im Tresor. Wie auch in den anderen Studer-Romanen, aber kaum noch einmal so stimmig, integriert Friedrich Glauser selbst Erlebtes in eine Krimigeschichte. Als seelisch Labiler und Süchtiger hatte Glauser wiederholt Bekanntschaft mit der Psychiatrie gemacht. Vor allem die ruppigen, doch gutherzigen Pfleger - im Roman der rothaarige Kartenspieler Gilgen, dessen Selbsttötung Studer nicht verhindern kann, - genießen seinen Respekt.

Der durchgeistigte Chef Laduner dagegen wird vom Wachmeister skeptisch umzirkelt. Vorsicht weicht zunehmend Mitleid. Ein unbestechlicher Idealist, der sich wahrscheinlich irreparabel versündigt hat und allerhöchstens von Studer noch vor seinem Fall bewahrt werden kann. Nicht zuletzt die sich für ihn aufopfernde Ehefrau spricht für den kalten Mediziner. So lässt man als Ermittler schon mal eine Tatwaffe verschwinden und unterstützt Laduners unstimmig zusammengereimtes Märchen vom Verschwinden seines Vorgesetzten.

Wie auch sonst in den Studer-Büchern erwächst der Eindruck eines stupend talentierten Autors, den man zu gerne hätte älter und sicherer werden sehen. Friedrich Glauser starb aber mit weniger als vierzig Jahren, noch vor dem Zweiten Weltkrieg, den die Schweiz fast wie durch ein Wunder ohne deutsche Besatzung überstehen durfte. Vor allem mit seiner eigenständigen Methode eines, um es so zu nennen, „Stimmungsdesigns“ gibt der Fortsetzungskrimi-Schreiber Glauser den bedeutenden Künstler zu erkennen. Theoretisch ist schwer fasslich, was da zusammenkommt. Karge Neue Sachlichkeit mit ihrer hohen Detailakkuratesse mischt sich mit zwinkernder, wenn auch nicht unkritischer Volkstümlichkeit, dazu tritt aber auch noch ein Grad von Sentimentalität, der nicht nach jedermanns Geschmack sein wird.

Man muss auch noch erwähnen, dass die dialektalen Helvetismen im Text keineswegs immer so nebenbei und harmlos wie bei Dürrenmatt oder Frisch anfallen. Da tauchen auch mal ein oder zwei Zeilen auf, mit denen selbst heutige junge Schweizer Verständnisschwierigkeiten haben dürften.

Leider, obwohl er in Folge seiner kurzen Autorenkarriere für nichts anderes bekannt wurde, lag Friedrich Glauser die Form des Kriminalromans nicht wirklich. Das war ein Gelderwerb, die Journale nahmen das ab. Mit dem Timing geht er in allen Studer-Büchern sehr fragwürdig um. Da ist jeweils in weniger als einem Drittel des Buchs alles schon da: der Tathergang, die verschiedenen Charaktere am Ort, die vorschnell zu Sündenböcken Abgestempelten, Studers unübersehbare seelische Verbundenheit dem einen oder anderen jungen Mädchen, Eheweib oder bedrängten Außenseiter gegenüber, ein irrlichternder Sonderling, der sich als Täter dem Leser geradezu aufs Auge drückt, sodass man eher erfahren möchte, wie Studer wird erklären können, dass der es nicht war.

Der Autor hat zu schnell zu viel von seinem Plot ausgeplaudert. Und jetzt muss er Tempo rausnehmen, muss irgendwie Seite um Seite füllen, weil er im Tagesgeschäft des Serienschreibers von den zahlreichen Seiten lebt. Studer-Fälle fangen irgendwann an zu langweilen, wenn man sich ob der Außenseiterromantik und historischen eidgenössischen Kleinstadtheimeligkeit diesem unglücklichen Autor nicht besonders verbunden fühlt.

„Ich wünsche jedem der das buch liest sehr viel Geduld und ruhe.“ Das haben wir als Stimme eines lesenden Schülers im Internet aufgestöbert. Nicht, dass er’s nicht gemerkt hätte. Das sprachliche Vermögen eines Autors merkt man in so einem Alter natürlich noch nicht.

Zitat:

„Wie ich die eingesperrten Leute gesehen habe, Herr Doktor, habe ich denken müssen, die Anstalt hocke wie eine riesige Spinne inmitten des Landes und die Fäden ihres Netzes reichten bis in die hintersten Dörfer … Im Netz, wissen Sie, zappeln die Angehörigen der Patienten … Und sie spinnt richtige Schicksalsfäden, die Spinne – ich meine die Anstalt – oder Matto, wenn Sie lieber wollen …“
Laduner blickte von seiner Zeitung auf:
„Sie sind ein Dichter, Studer. Ein heimlicher Dichter. Und das ist vielleicht ungünstig für den Beruf, den Sie nun einmal ausüben müssen. Wären Sie kein Dichter gewesen, hätten Sie sich der Wirklichkeit angepaßt, dann wäre Ihnen die Geschichte mit dem Obersten Caplaun nicht passiert … Aber eben, Sie sind ein poetischer Wachtmeister …“


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-03-22)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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