„I am… awake“, antwortet Walter White in dem titelgebenden Schlüsseldialog auf die Frage von Jesse Pinkman, warum er vom harmlosen Chemieprofessor und Familienvater zum Drogendealer wird. „Nah. Come on, man! Some straight like you, giant stick up his ass… all a sudden at age, what, sixty he’s just gonna break bad?“, wundert sich Jesse, aber er wird noch einige andere Überraschungen mit seinem partner in crime erleben, bis er endlich kapiert, wie dieser tickt. Auch die Rezipienten haben vier Staffeln Zeit, Walter auf die Schliche zu kommen, denn spätestens bis zur fünften Staffel der amerikanischen TV-Serie des AMC Kanals, die 2013 auch auf den deutschen Markt kommt und - unbestätigten Gerüchten zufolge - sogar in Hannover/Deutschland gedreht wird, sollte klar sein: This guy is really bad! Der Titel der Serie stammt aus gutem Grund aus dem amerikanischen Homey-Slang und bedeutet, frei ins Deutsche übersetzt „auf die schiefe Bahn geraten“, aber das ist eine wirkliche Untertreibung, wie man allein schon aus der Synopsis der ersten Staffel ersehen kann.
Vom Paulus zum Saulus
Der Chemielehrer Walter White (Bryan Cranston) hat einen Schwager, der bei der amerikanischen DEA (Drug Enforcement Agency) arbeitet und darf bei einer Razzia dabei sein. Das - vielleicht als Geburtstagsgeschenk gemeinte - Ereignis entpuppt sich aber alsbald als „Erweckungserlebnis“ des krebskranken Walter, der – passend zu seinem 50. - die Diagnose Lungenkrebs erhalten hat. Bei der Sprengung des Drogenringes, der Methamphetamine (Crystal Meth) herstellt, durch die DEA beobachtet Walter wie sein ehemaliger Schüler Jesse Pinkman (Aaron Paul) vor dem Zugriff der Polizei gerade noch flüchten kann. Er verfolgt diesen zu ihm nach Hause, wo er ihn an dem parkenden Auto mit dem Nummernschildaufdruck „Captain Cook“ leicht identifizieren kann. (Das Autoschild ist eine ironische Referenz an das englische „to cook“, was sich auf die Herstellung von Crystal Meth bezieht.) Walter kann die Substanz als Chemielehrer natürlich leicht selber herstellen und so beginnen die beiden bald gemeinsam zu „kochen“. Allerdings macht ihnen der Vertrieb der Droge vorerst einige Schwierigkeiten, wie in den folgenden Episoden deutlich wird. Als Motivation für seine Handlungsweise – die aus einem biederen Lehrer und Familienvater einen rücksichtslosen Drogendealer macht – gibt Walter seine Krebs-Diagnose an, auch wenn er in der eingangs beschriebenen Schlüsselszene, diese seinem Partner Jesse vorerst verschweigt. Aber er muss die grausamen Taten ja vor allem vor seinem eigenen Gewissen rechtfertigen, denn er kann es sonst niemandem erzählen, dass er nicht einmal vor Mord zurückschreckt, wenn es darum geht, seine Pfründe zu verteidigen. Es gibt aber noch einen anderen Grund für seine reversierte Wandlung vom Paulus zum Saulus (sic), den der Zuseher aber erst im Verlaufe der ersten Staffel entdecken wird.
“Böse“ werden?
Die Metaebene von „Breaking Bad“ rekurriert natürlich auf das unzureichende Krankenversicherungssystem der USA, denn würde es ein solches geben, wäre der an sich vorbildhafte Staatsbürger Walter White nicht gleich dazu gezwungen, aufgrund seiner Krebserkrankung auf kriminelle Weise Geld aufzutreiben. Denn die Behandlungen sind teuer, sehr teuer. Doch es gibt noch eine weitere Ebene die das „breaking bad“ (böse werden) als quasi unbeabsichtigten, unfreiwilligen Opferreflex widerlegt. Walter White ist nämlich nicht nur ein einfacher Chemielehrer, sondern war auch einmal Anwärter auf den Nobelpreis und ehemaliger Partner von Mr. Black bei Grey Enterprises (White+Black=Grey), der wiederum Walter bei seiner Freundin, Gretchen, und seiner Firma ausbootete. In der ersten Staffel wird dies aber nur angedeutet, nicht explizit erklärt und das Angebot der beiden - für Walters Therapie zu zahlen - wird von diesem zwar offiziell angenommen, vor seiner schwangeren Frau Skyler (Anna Gunn) aber verheimlicht Walter, dass er das Geld durch seine Drogenherstellung selbst auftreibt. Walters ganzer Stolz ist nämlich, dass er sich selbst die Verlängerung seines Lebens ermöglicht. Er gibt zwar vor, alles für seine Familie zu tun, das Drogengeld also als Vorsorge für Skyler und den behinderten Sohn Walter „Flynn“ jr. (RJ Mitte) zu organisieren, doch dabei lügt er nicht nur sich selbst an. Walter ist eben tatsächlich „böse“ geworden („broken bad“ und entwickelt sich zunehmend zu einem immer unsympathischeren Zeitgenossen, während Jesse eher vom Saulus zum Paulus wird. Interessant ist sicherlich auch die Zuteilung der Rollen für Frauen, die von einem gestörten Verhältnis des Drehbuchautoren zum anderen Geschlecht zeugen könnte. Aber darüber mehr in der nächsten Rezension zu Staffel 2.
Form und Inhalt als Synthese
In „Breaking Bad“ spielen aber auch verschiedene filmische Stilmittel eine große Rolle, was den Konsum der Serie zu einem großen Genuss werden lässt, der – hier explizite Warnung - durchaus „addictive“ ist. Besonders die ästhetische Umsetzung macht klar, dass hier viel mit, über und durch Stil erzählt wird. Die Ästhetik, also das wie wird zu einem wichtigen Träger der Narration, wie auch Christine Lang in ihrem Artikel „Implizite Dramaturgie in der Fernsehserie BREAKING BAD“ (www.kino-glaz.de) erwähnt. Abgesehen von den eher plakativen Gegenüberstellungen - Walter White stets in beige und Jesse Pinkman immer in bunten Hip Hop Klamotten oder den Kontext von Automarke und Charakter - arbeitet die Serie auch auf einer viel subtileren Ebene. In „Breaking Bad“ sind nämlich auch die von David Bordwell von den Russischen Formalisten übernommenen Termini „fabula“ und „syuzhet“ als state of the art wirksam: „fabula“ bezeichnet die erzählte Geschichte, die unabhängig vom Erzählmedium existiert und syuzhet die medienabhängige Organisation und Vermittlung dieses Handlungsgeschehens. In „Breaking Bad“ wird auf das Weltwissen der Rezipienten rekurriert und damit auch auf die für den erweiterten Wirkungsradius eines Werks (seine Rezeption), also eine implizite und explizite Dramaturgie angewandt.
Nicht nur für Eingeweihte
Dass Form und Inhalt bei Breaking Bad eine Synthese bilden, lässt sich schon anhand des Titeldesigns erkennen, das die Symbole für die chemischen Elemente Brom (Br) und Barium (Ba), einschließlich der Ordnungszahlen dieser Elemente verwendet. Dieses System wird auch bei den Credits und anderen Schriftzügen beibehalten, so wird etwa bei der Namensschreibung die Buchstabenkombination hervorgehoben, die ein chemisches Element enthält, beispielsweise „RJ MitTe“ (Te =Tellur). Die implizite Dramaturgie in der eingangs beschriebenen Schlüsselszene adressiere sich also an „ein kulturell geprägtes Alltagswissen und an die Kenntnisse einer speziellen Zielgruppe, vor allem an das popkulturell geprägte Distinktionswissen – eben an das Wissen vom Unterschied zwischen `cool´ und `nicht cool´“, so Lang. Auf der expliziten Ebene richte sich seine Frage „Some straight like you, (…) he’s just gonna break bad?“ nur darauf, ob Walter jetzt „böse“ werde. Implizit rekurriert die Frage aber auch auf das angedeutete „Weltwissen“ und die „Eingeweihtheit“ (privyness) des Rezipienten, womit dann wohl auch der Verwertungsprozess gesichert wäre: „Zuschauer gleichen Filme laufend mit ihren Erfahrungen, mit ihrem Weltwissen ab und setzen die Filmerzählung mit den eigenen Welterfahrungen in Beziehung. Je mehr Weltwissen – bei AutorInnen und bei RezipientInnen – vorhanden ist, desto größer ist die Bedeutung von impliziter Dramaturgie“; so Lang. Sie sei das Mittel, mit dem sich Filmautor und Werk an weitreichendes Weltwissen adressieren – auf allen Ebenen und mit allen filmästhetischen Mitteln. „Breaking Bad“ zeigt wie kaum eine andere TV-Serie, worauf es beim Film ankommt und wird so bald zum „Erweckungserlebnis“ für jedermann, aber mehr dazu in der Rezension zu Staffel zwei.
Sony Pictures Home Entertainment
BREAKING BAD - Staffel 1 (Vince Gilligan)
Deutsch/Englisch
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-10-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.