Natürlich wäre es leicht, dieses Buch des renommierten Wirtschaftsjournalisten der WELT, Olaf Gersemann, als ein schwarzmalerisches Konvolut zu bezeichnen, das geeignet sei, den Zustand herbeizuschreiben, den es prophezeit.
Doch dem ist nicht so, auch wenn insbesondere der Untertitel endzeitliche und katastrophale Assoziationen weckt. Doch der ist der Werbung geschuldet und die Verlage täten gut daran, sie in Zukunft wegzulassen, bzw. so zu formulieren, dass sie dem Inhalt und den Thesen des Buches auch entsprechen.
Was Olaf Gersemann auf vielen Seiten und mit zahllosen Beispielen feststellt ist: der sogenannte Aufschwung in Deutschland, der nun trotz Finanzkrise schon einige Jahre anhält, ist an sein Ende gekommen. Das allein ist noch kein Grund zur Aufregung. Ich kann mich in meinem sechzigjährigen Leben an viele Auf- und Abschwünge der Konjunktur und der Wirtschaft erinnern, ebenso an viele unterschiedliche „Stimmungen“ im Land, von fast revolutionärem Aufbruch bis hin zu deprimierter Weltuntergangsstimmung und schwarzem Pessimismus.
Das alles weiß der Wirtschaftsfachmann Olaf Gersemann auch. Doch ihm geht es in seinem mahnenden Buch, das aufrütteln und verändern will und nicht schlechte Stimmung verbreiten, um etwas anderes. Seine These ist, dass aus vielerlei Gründen sowohl die Politik und die tragenden Institutionen im Land als auch weite Teile der Bevölkerung die unbestrittenen Fortschritte bei der Wirtschaftsleistung des ganzen Landes als auch dem Wohlstandsniveau vieler Menschen (nicht aller) für so etwas wie ein ewiges Gut halten und aus lauter Begeisterung über diese Stärken blind geworden sind für die immer zahlreicher sich bemerkbar machenden Schwächen.
Alle haben sozusagen die Messlatte für ihren Erfolg sehr niedrig gehängt und es blühen die Umdefinitionen. Wir, das heißt die Politik und die ganze Gesellschaft sind gerade dabei, die Axt an die Grundlagen unseres Wohlstandes zu legen.
Seine zehn Vorschläge am Ende des Buches, was zu tun ist, um dem entgegenzusteuern, sind sehr unterschiedlich:
1. Einführung eines Kinderwahlrechts
2. Tragfähigkeitsanalysen für alles
3. Investitionsgebot für den Staat
4. Energiesubventionen in Forschung umlenken
5. Weniger Berufe im dualen System
6. Freibeträge für lebenslanges Lernen
7. Weg mit dem NC
8. Weniger Kündigungsschutz
9. Alle Akademiker rein
10. Niedrigere Einkommenssteuersätze
Er warnt vor den Widerständen und benennt sie: „Eine konsequente Wachstumspolitik wird in jeder alternativen Gesellschaft umstritten sein und erst recht in einer, die zudem so selbstzufrieden und hochmütig ist wie die unsere. In einem Land, in dem eine große und stetig größer werdende Minderheit altersbedingt nur einen begrenzten persönlichen Zeithorizont hat, wird naturgemäß die Neigung vorherrschen, noch eine Weile von dem bereits Erreichten zu zehren. Wachstum demgegenüber heißt, zu neuen Ufern aufzubrechen, Wachstum bringt Unruhe mit sich, Wachstum bedeutet Aufbruch, Wandel, Kräfteverschiebungen. Veränderung eben.
Genau darum geht es aber: Veränderung. Denn es wird sich sehr vieles ändern müssen in Deutschland, damit manches so bleiben kann wie es ist.“
Das ist ein Ansatz, der mir einleuchtet, jenseits der einzelnen konkreten Schritte, über die man dann entsprechend streiten kann. Ohne Veränderung, ohne Wachstum (eben nicht nur im Sinne des BSP), wird sowohl das Leben eines einzelnen Menschen, als auch der Organismus einer ganzen Gesellschaft ermatten und erschlaffen.
Olaf Gersemann, Die Deutschland-Blase. Das letzte Hurra einer großen Wirtschaftsnation, DVA 20914, ISBN 978-3-421-04657-4
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-09-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.